Konrad Schweiger

Mittwoch, 1. Februar 2023 · 0 min read

by ÖBB-Infrastruktur

Hochspannungstests an der Eisenbahn-Infrastruktur

Der Waggon für Hochspannungstests (HPA), ist eine mobile Prüfeinheit, die speziell für die Instandhaltung von Komponenten der Eisenbahn-Infrastruktur entwickelt wurde. Damit wird die Funktionsfähigkeit und Sicherheit der elektrischen Infrastruktur an verschiedenen Stellen in ganz Österreich überprüft. Nun wurde dieser Prüfwagen modernisiert und Dewesoft lieferte dafür eine flexible und benutzerfreundliche Lösung.

Das Energienetz der ÖBB besteht aus Kraftwerken, Frequenzumrichtern, Leitstellen, Bahnstromleitungen und Umspannwerken – also viele Faktoren die überwacht und gewartet werden sollten – denn: Strom kann man nicht sehen, hören oder riechen. Ihr Leben ist in Gefahr, wenn Sie 15.000 Volt zu nahe kommen. Sicherheit hat für Bahnbetreiber höchste Priorität.

Der Kunde

Die ÖBB-Infrastruktur AG ist Teil der ÖBB-Holding AG und damit Eigentum der Republik Österreich. Mit rund 18.700 Mitarbeitern plant, entwickelt, wartet und betreibt das Unternehmen die gesamte Schieneninfrastruktur der ÖBB: Bahnhöfe, Strecken, Gebäude, Terminals, Kommunikationsanlagen und Wasserkraftwerke für den umweltfreundlichen Betrieb der Züge.

Das Unternehmen verwaltet das gesamte Immobilienvermögen selbst und ist damit einer der größten Grundstückseigentümer Österreichs. Ein Teil der Strategie ist es, das sicherste Verkehrsmittel in Österreich zu sein.

Die zentrale Leitstelle in Innsbruck übernimmt die Steuerung, Regelung und Überwachung der Bahnstromversorgung, der Kraftwerke und des 55/110-kV-Bahnstromnetzes. Von dort aus wird der Maschineneinsatz der Kraftwerke und Frequenzumrichter entsprechend der Lastsituation im Bahnnetz zentral geregelt und mit einer speziellen Software optimiert. Das 15-kV-Bahnstromnetz wird in zwei Energiezentralen geführt.

Das aus Generatoren, Bahnstromleitungen, Transformatoren und Oberleitungen bestehende Bahnstromnetz der ÖBB-Infrastruktur AG ist über 2.000 Kilometer lang und arbeitet mit einer Frequenz von 16,7 Hz. Das Netz verteilt den Strom von den Kraftwerken und Frequenzumrichtern auf mehr als 60 Umspannwerke. Diese transformieren die Spannung von 55 oder 110 kV der Bahnstromleitungen auf 15 kV für die Oberleitung zur Versorgung der Bahn.

Abb. 1: Die ÖBB Hochspannungsprüfanlage – kurz HPA

Die Messaufgabe

Elektrische Prüfungen sind nicht nur unerlässlich, um die Sicherheit und Zuverlässigkeit jedes neuen und modifizierten elektrischen Bestandteiles der Bahn zu gewährleisten. Die vorausschauende Wartung – also aufkommende Fehler früh genug zu erkennen und nötige Wartungen zu planen – ist mindestens genauso wichtig. Die Hauptanwendung des Spezialschienenfahrzeugs ist die Sicherheitsprüfung des Erdungskonzepts und die Hochstrom-Komponentenprüfung.

Der ÖBB-Prüfwagen HPA (Hochspannungsprüfanlage) ist ein Schienenfahrzeug auf Basis eines Tiefladers. Sein Prüfaufbau besteht aus einem Leistungsschalter, einem Netzschalter, einem Prüftransformator, einer explosionsgeschützten Prüfkabine und einer Bedienerkabine. Für die Bedienung wird hochqualifiziertes Personal benötigt, das sich über die Risiken beim Umgang mit gefährlichen Hochspannungen bewusst ist.

Da der HPA bereits rund 20 Jahre alt ist, waren Hard- und Software nicht mehr auf dem neuesten Stand. Die bisher eingesetzte Messsoftware funktionierte nur auf einem veralteten Betriebssystem. Die bestehende Kamera lieferte keine brauchbaren Videos und war nicht in die Software integrierbar. 

Eine Modernisierung der gesamten Messtechnik war notwendig. Die Komponentenprüfung war zwischenzeitlich ausgelagert worden, sollte nun aber wieder direkt von der ÖBB durchgeführt werden. Ein wichtiges Thema ist auch die Dokumentation der Messung und die Kalibrierung.

Abb. 2: Das Konzept der HPA

Überprüfung der elektrischen Erdung

Die Verbraucher im Bahnnetz sind ständigen Belastungen durch Vibrationen und Umwelteinflüsse ausgesetzt – daher auch anfälliger für Fehlfunktionen. Deshalb ist die korrekte Erdung hier besonders wichtig. Fehler im Erdungssysteme bilden hohe Sicherheitsrisiken für Eisenbahner und Fahrgäste.

Vor allem im Bereich von hochspannungs-führenden Freileitungen für die Energieversorgung der Antriebe, ist es wichtig alle Metallteile, an denen eventuelle Berührungsspannungen oder Schrittspannungen auftreten könnten, korrekt zu erden.

In Netzen wo die Stromversorgung über eine dritte Schiene geführt wird, kann es zu Bränden durch Lichtbögen und im Fehlerfall zu Spannungsverschleppungen kommen. Hier ist eine sachgemäße Erdung unumgänglich.

Folgende Komponenten innerhalb des Schienennetzes müssen im Allgemeinen geerdet und leitend verbunden werden:

  • Schienen

  • Oberleitung und Stromschiene (dritte Schiene)

  • Streckenseitige Einrichtungen (Stellwerke, Weichenantriebe, Signalgeber etc.)

  • Elektrische/elektronische Gehäuse im gesamten Stromnetz

  • Kommunikationstürme und Mikrowellenanlagen

  • Bahnübergänge

  • Gebäude und Nebengebäude

  • Alle beweglichen Teile/Fahrzeuge

Die ÖBB ist verpflichtet die Funktionsfähigkeit elektrischer Erdungsanlagen nachzuweisen. Diese Prüfungen sind an allen neuen oder sanierten Freileitungen und Bahnhöfen sowie innerhalb von Betriebsstätten, Stahlbetonbauten und Lärmschutzwänden erforderlich.

Diese Überprüfung folgt der Norm EN 50122-1:2017 – Bahnanwendungen – Ortsfeste Anlagen – Elektrische Sicherheit, Erdung und Rückleitung – Teil 1: Schutzmaßnahmen gegen elektrischen Schlag.

Bei diesem Test wird der betreffende Streckenabschnitt geschlossen, elektrisch vom Netz getrennt und die Schleife an einer definierten Stelle mit Erdspießen geschlossen (Fehlerpunkt 1, Fehlerpunkt 2). Der mobile Transformator induziert einen konstanten Prüfstrom mit 16,7 Hz in die Oberleitung, wodurch die Berührungsspannung, z. B. zwischen Schiene und Erde, gemessen werden kann. Weitere Messpunkte sind: auf dem Boden des Bahnhofs, an Metallzäunen in der Nähe der Gleise usw.

Ein 2,2 kOhm-Widerstand simuliert den elektrischen Widerstand eines menschlichen Körpers. Die Berührungsspannung an verschiedenen Punkten entlang der Infrastruktur wird gemessen, während der Prüfstrom über die verschiedenen Elemente der Erdungsstruktur verteilt wird. Dann wird die Summe überprüft und ausgewertet.

Außerdem misst das Prüfteam die Spannung zwischen Neutralleiter (N) und Erdungsleitung (PE – Protective Earth) an den AC-Steckdosen bei ein- und ausgeschaltetem Prüfstrom. Ströme und Spannungen werden während der Prüfung kontinuierlich gemessen und darauf geachtet, dass die definierten Grenzwerte und Zeiten eingehalten werden. Die Wetterstation erfasst zusätzlich die aktuellen Wetterverhältnisse zur Dokumentation.

Abb. 3: Prinzip der Test-Schleife
Abb. 4: Position der Testschleife

Hochstrom-Komponentenprüfung

Hochstromprüfanlagen werden eingesetzt, um die mechanische und thermische Stabilität von Betriebsmitteln und Komponenten der Oberleitung sicherzustellen. Dazu gehören Kabel, Generatoren, Schaltzellen usw. Das Prüfobjekt wird induktiv erwärmt. Daher wird das Prüfobjekt auf einen Kurzschluss vorbereitet. Das Hochstromprüfsystem misst dann zusätzlich zum Strom an verschiedenen Stellen die Temperatur des Prüflings.

Diese Tests validieren die mechanische und thermische Festigkeit der Komponenten der Bahnstreckensysteme. Die Bauteilprüfungen sind notwendig, um sicherzustellen, dass sich die Anlagenteile im Kurzschlussfall nicht unzulässig erwärmen bzw. sie der Temperatur standhalten.

Da der Transformator sehr hohe Ströme liefern kann, ist die zweite wichtige Anwendung die Hochstromprüfung von Komponenten der Bahninfrastruktur. Z. B. „Kurzschlussprüfung“ mit 30 kA für 1 Sek. / oder „Dauerstromtest“ mit 1000 A für einige Stunden.

Bauteile wie Erdungsdosen und -steckverbinder werden aus der Infrastruktur herausgenommen und mit Hochstrom beaufschlagt, um ihre mechanische und elektrische Belastbarkeit zu prüfen. Einen ersten Langzeittest für mehrere Stunden müssen die Komponenten mit einer mobilen Konstantstromquelle bei Betriebsstrom bestehen. Darauf hin wird der Temperaturverlauf protokolliert.

Anschließend werden zur Prüfung der Bauteile auf Kurzschlussfestigkeit die Prüflinge an den Prüftransformator angeschlossen und mit einem hohen Prüfstrom (30 kA) für etwa eine Sekunde geprüft. Der HPA zeichnet dann den Temperatur-, Strom- und Spannungsverlauf und ein Video des Prüflings exakt synchronisiert auf.

Je nach Witterung und Größe des Prüfobjekts kann das Prüfteam seine Prüfungen außerhalb oder innerhalb einer explosionsgeschützten Prüfkabine durchführen.

Diese Tests sind unerlässlich, um den zuverlässigen und sicheren Betrieb aller Komponenten in der Bahninfrastruktur zu gewährleisten – und Ausfallzeiten zu reduzieren. Pünktliche Züge sind Voraussetzung für zufriedene Kunden.

Abb. 5: Der Komponententest ist mit 30 kA fehlgeschlagen.
Abb. 6: Screenshot eines erfolgreichen Kurzschluss-Komponententests mit 23 kA.

Die Lösung

Dewesoft lieferte die entsprechende Lösung für die Modernisierung der Hochspannungsprüffeld-Messtechnik der ÖBB.

Hardware

  • SIRIUS HS High-Speed DAQ System mit verschiedenen 1 MHz Hoch- und Niederspannungs-Eingängen

  • MCTS2 Einheit zur Versorgung des Stromwandlers

  • KRYPTONi-8xDI-8xDO robustes IP67 EtherCAT DAQ-Modul mit digitalen Ein-/Ausgängen

  • KRYPTONi-1xTH-HV hochisolierte Temperaturmodule mit den entsprechenden Sicherheitskabeln

  • MCTS Hochpräziser (Zero-Flux) Stromwandler

  • Rogowski-Spulen für bis zu 30 kA

  • Temperatur-/Feuchtigkeitssensor für innen, über RS232-Schnittstelle#

  • Vaisala Wetterstation WXT536 (Windgeschwindigkeit & -richtung, Regenmenge, Temperatur, Luftdruck, relative Luftfeuchtigkeit)

  • DS-CAM-600c synchronisierte Gigabit-Ethernet-Kamera mit Onboard-Komprimierung (optional: Wärmebildkamera)

  • verschiedene Montageplatten

Software

  • DewesoftX Professional Basisversion (mit lebenslangen kostenlosen Updates)

  • Dewesoft SERIALCOM Plugin: DewesoftX Erweiterung zur Kommunikation mit dem RS232 Temperatur/Feuchte-Sensor

  • Dewesoft NMEA-WS Plugin: DewesoftX Erweiterung für die Kommunikation mit der Vaisala-Wetterstation

Für die Systeminstallation hatte das HPA-Team den Testwagen in einem Umspannwerk abgestellt. Links und rechts ragten meterhohe Isolatoren in die Höhe. Auf der einen Seite waren wir von Dewesoft etwas nervös – wir wussten anfangs nicht, wo wir uns bewegen dürfen oder welche Sicherheitsabstände wir einhalten sollten. Auf der anderen Seite waren wir fasziniert, einen Einblick in ein sehr bekanntes Transportsystem zu bekommen – Quasi ein Blick hinter die Kulissen.

Die Zusammenarbeit mit dem HPA Team war sehr angenehm. Sie hatten den nötigen Respekt vor dem gefährlichen Umfeld und ein professionelles Auftreten – hatten aber trotzdem Sinn für Humor. Und sie arbeiteten als Team zusammen – wo sich jeder auf den anderen verlassen kann. Es erinnerte an ein Team von Bergsteigern.

Abb. 7: Dewesoft SIRIUS- und KRYPTON Module wurden in der Testkabine installiert
Abb. 8: Zur hochisolierten Temperaturmessung wurden in der Testkabine vier KRYPTON-TH-HV Module verbaut.

Als alles eingebaut war, wurde die Prüfkabinentür geschlossen. Zu Testzwecken belastete das Team einige Metallteile mit 30 kA. Ziel war es, Signale auf Plausibilität zu prüfen und den Erfassungswinkel der Hochgeschwindigkeitskamera zu optimieren.

Das Testteam war sogar daran interessiert, die Zeitverzögerung des Leitungsschalters zu messen, da die Steuerung zum Beispiel am 90°-Phasenpunkt der 16,7-Hz-Sinuswelle genau einschalten kann.

Nach der Installation des Messsystems und der Platzierung der Sensoren im Testwagen wurde die eigentliche Dewesoft-Schulung durchgeführt.

Abb. 9: Hier ist der Prüftisch zu sehen, im Hintergrund links der 50-kA-Hochstromwandler. Der Strom wurde dem Transformator durch die gelben Metall-Schienen entnommen.

Wir waren vom Testteam beeindruckt. Die Routine die sie hatten, als sie die meterlangen Kurzschlussbrücken montierten, die Steuerung  bedienten usw. Sie behielten aber immer im Blick, wo sich alle gerade aufhielten.

Abb. 10: Der Schaltschrank für den zeitlich exakt kontrollierbaren Leistungsschalter.

Fazit

Vorgabe des Kunden war, dass das Messsystem manuell gestartet werden kann, entweder durch einen externen digitalen Eingang oder, wenn der Sekundärstrom vorhanden ist, mit einer Vorlaufzeit. Die  Trigger Optionen 

im Abschnitt „Speichern“ in DewesoftX haben es ermöglicht, diese Anforderung umzusetzen.

DewesoftX ermöglicht mehrere Trigger auf Daten, Zeit oder sogar eine parallel eingestellte FFT-Referenzkurve. Die Triggerbedingungen stellen sicher, dass Hochgeschwindigkeitsdaten nur dann gespeichert werden, wenn bestimmte Ereignisse eintreten. Diese Funktionalität spart viel Speicherplatz.

Perfekt für die Anforderungen der ÖBB waren auch die synchrone Erfassung von Highspeed-Video- und analogen Daten wie Strömen, Spannungen, Hochvolt-isolierten Temperatureingängen, digitalen Ein-/Ausgängen und Busdaten wie RS232. Die intuitive Benutzeroberfläche kombiniert mit der Möglichkeit, Daten ohne zusätzliche Softwarelizenz auszuwerten, erleichtert dem Kunden die tägliche Arbeit erheblich.

Das Messdienstleistungsunternehmen der ÖBB resümiert: „Das Dewesoft-System hat alle Anforderungen erfüllt. Und sogar noch zusätzliche Funktionen und Möglichkeiten die wir für zukünftige Aufgaben verwenden könnten. Wir freuen uns, dass die Messtechnik dieses einzigartigen Infrastruktur-Testwagens nun wieder auf dem neuesten Stand der Technik ist.“