Jake Rosenthal

Samstag, 8. April 2023 · 0 min read

by Sierra Nevada Corporation (SNC)

Montage- und Verklebungskontrolle bei Thermalschutzsystemen (TPS) an Raumflugzeugen

Der Raumgleiter Dream Chaser® ist ein wiederverwendbares Raumflugzeug, das von der Sierra Nevada Corporation (SNC) entwickelt wird. Raumfahrzeuge, die in die Erdatmosphäre eintreten, benötigen ein Thermalschutzsystem (TPS) zum Schutz vor aerodynamischer Erwärmung und der Hitze der Sonne. 

TPS-Kacheln gehören zu den wichtigsten Hardware-Komponenten, die beim Dream Chaser zum Einsatz kommen und bedecken fast das gesamte Flugzeug. Für die Verbindung dieser Kacheln mit der Struktur mussten die Mitarbeiter zahlreiche Parameter messen und anzeigen. Die Lösung von Dewesoft automatisierte die erforderlichen Berechnungen und verbesserte die Qualitätskontrolle und war dabei schnell und einfach zu bedienen.

Einleitung

Die Thermal Protection Systems Group (TPS Group) ist das Technikerteam, das die Hauptverantwortung für die Hitzeschutzkacheln und Faserwerkstoffe trägt, die den Dream-Chaser-Raumgleiter umhüllen. Die Ingenieure verwenden eine ähnliche Technologie wie die, die schon zum Schutz der Space Shuttles verwendet wurde. 
Dabei handelt es sich um ein komplexes System aus glasfaserbasierten Kacheln und Hitzeschutzdecken, die passgenau montiert sind, um das Raumfahrzeug beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre zu schützen.

Das Raumfahrzeugprojekt – der Dream Chaser

Der Raumgleiter Dream Chaser von SNC ist ein Mehrzweck-Raumfahrzeug, das dafür entwickelt wurde, Besatzung und Fracht zu Zielen im erdnahen Orbit (LEO), wie z. B. der Internationalen Raumstation, zu transportieren.

Der Dream Chaser wurde von der NASA für den Hin- und Rücktransport von Fracht sowie die Müllentsorgung für die Raumstation im Rahmen des Programms Commercial Resupply Services 2 (CRS2) ausgewählt. Der Dream Chaser soll mindestens sechs Frachtmissionen zum Transport von kritischen Gütern wie Nahrung, Wasser und wissenschaftlichen Experimenten von und zur Raumstation durchfûhren und bei der Rückkehr zur Erde sanft auf einer Landebahn landen. Die im Dream Chaser beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre auf kritische Fracht einwirkenden Kräfte liegen unter 1,5 g.

Abb. 1: Der unbemannte Dream Chaser von SNC (Transportfahrzeug mit Fracht)

Das Fahrzeug ist auf eine hohe Wiederverwendungsquote ausgelegt, wodurch die Gesamtkosten sinken und kurze Turnaround-Zeiten zwischen den Missionen ermöglicht werden. Die Fähigkeit, auf verschiedenen Trägerraketen zu starten und auf zahlreichen zugelassenen Landebahnen zu landen, macht den Dream Chaser zu einer flexiblen Option für zuverlässige Transporte.

Der Dream Chaser wurde ursprünglich – zum Teil im Rahmen des NASA-Programms Commercial Crew Development – als bemanntes Raumflugzeug entwickelt, das bis zu fünf Astronauten von und zur Raumstation und anderen Zielen in der erdnahen Umlaufbahn transportieren kann.
Der Dream Chaser ist rund neun Meter lang, was etwa einem Viertel der Gesamtlänge der Space Shuttle Orbiter entspricht, und kann die gleiche Anzahl an Besatzungsmitgliedern befördern wie die Shuttles.

Die bemannte Variante des Dream Chaser entspricht zu ca. 85 % der Frachtvariante und ist mit Umweltkontroll- und Lebenserhaltungssystemen, Cockpit-Fenstern und ein integriertes Hauptantriebssystem zur Gewährleistung der Startabbruchfähigkeit und für größere Orbitalmanöver ausgestattet. 1

Das Thermalschutzsystem (TPS)

Ein TPS soll das Raumfahrzeug vor der aerothermischen Aufheizung beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre schützen, also vor Temperaturen bis zu 1650 °C. Bei Raumflugzeugen gewährleistet das TPS einen sicheren Eintritt und Sinkflug sowie eine sichere Landebahnlandung.

Das TPS umfasst eine Beschichtung aus diversen hitzebeständigen Materialien, die sowohl beim Space Shuttle Orbiter als auch beim Dream Chaser aus Kacheln besteht.

Das Thermalschutzsystem (TPS)

Da der Dream Chaser nur etwa ein Viertel so groß ist wie ein Space Shuttle Orbiter, werden anstelle der 24 000 Kacheln, die beim Space Shuttle zum Einsatz kommen, nur rund 2000 TPS-Kacheln benötigt, die allerdings größer sind. Während sie beim Shuttle nur etwa 15 x 15 cm groß sind, messen sie beim Dream Chaser ca. 25 x 25 cm.
Zur Gewährleistung der Verbindung der Kacheln mit dem Raumfahrzeug verwenden die TPS-Techniker von SNC ein bei Raumtemperatur vulkanisierendes Silikon (RTV), das hohen Temperaturen standhält. Um Probleme mit abfallenden Kacheln zu vermeiden, werden sie nach dem Aufkleben mithilfe eines Zugmechanismus einzeln geprüft. 2 und 3

Die Herausforderung – Qualität und Geschwindigkeit

Der leitende TPS-Ingenieur bei SNC war ursprünglich auf der Suche nach einem kostengünstigen Datenerfassungssystem zur Messung von fünf Kraftsensoren im Rahmen der Prüfung des Sitzes von Hitzeschutzkacheln an der Struktur des Dream-Chaser-Raumgleiters. 

Die Daten aller fünf Sensoren sollten in einer Produktionsumgebung gleichzeitig erfasst werden, um sicherzustellen, dass die einzelnen Schutzkacheln ihrem Zweck, das Raumfahrzeug zu schützen, entsprechend perfekt geformt waren.

Vorgesehen war es, die Kacheln von Hand an die Struktur zu pressen und das Datenerfassungssystem die Belastung messen zu lassen. Für einen erfolgreichen Test mussten alle Sensoren innerhalb eines bestimmten Toleranzbereichs den gleichen Druck anzeigen. So würde das System dem Techniker dem Techniker signalisieren, dass die getestete Kachel korrekt geformt und zur Befestigung an der Struktur geeignet war. Um diesen Test in der Produktionshalle und mit einem Laptop durchführen zu können, musste das DAQ-System modular und transportabel sein.

Figure 2. Bonding the Thermal Protection System tiles to the Dream Chaser structure.Abb. 2: Verkleben der TPS-Kacheln mit der Dream-Chaser-Struktur

Die erste Herausforderung war unser Preispunkt im Vergleich zu dem Datenerfassungssystem, das der Kunde bei vorherigen Projekten verwendet hatte. Es handelte sich um ein einfaches DAQ-System, das in der Lage war, die betreffenden Lasten zu messen und anzuzeigen. Die Prüfungen und Berechnungen, die gewährleisteten, dass alle Lasten innerhalb der geforderten Toleranzen lagen, wurden dabei von Hand durchgeführt.

Eine zusätzliche Herausforderung bestand darin, dass mehrere identische Systeme erforderlich waren, die von Technikern, die den Umgang mit Prüfgeräten nicht gewohnt waren, einfach bedient werden konnten.

Als wir gemeinsam mit dem Kunden den gesamten Prozess der Befestigung der Kacheln an der Struktur untersuchten, entdeckten wir weitere Aspekte, bei denen Dewesoft hilfreich sein konnte. Diese Aspekte betrafen die Beschleunigung des Prozesses und die Ermöglichung zusätzlicher Qualitätskontrollen unter Nutzung des gleichen Systems.

Die Messlösung

Bei der Überprüfung des Prozesses stellte sich heraus, dass es mehrere Schlüsselbereiche gab, in denen Dewesoft das TPS-Team durch den Einsatz von an einen SNC-Laptop angeschlossenen KRYPTON-Datenerfassungsmodulen mit DMS-Verstärkern (STG) und Thermoelement-Verstärkern (TH) unterstützen konnte.

KRYPTON-Datenerfassungsmodulen

KRYPTON ist eine Serie von robusten verteilten EtherCAT-Datenerfassungssystemen für Feldmessungen in extremen und rauen Umgebungen. Diese Systeme haben die Schutzart IP67, sind für extreme Temperaturen im Bereich zwischen -40 °C und +85 °C geeignet und bieten eine hohe Schockfestigkeit. KRYPTON-Module können über große Flächen verteilt werden, wobei zwischen den einzelnen Datenerfassungsknoten Entfernungen bis zu 100 Meter möglich sind.

Präsentationsvideos zum KRYPTON-Datenerfassungssystem

Die STG-Variante des KRYPTON-Moduls verfügt über einen universellen Differenzspannungs- und Voll-/Halb-/Viertelbrücken-Eingang und ist in 1-, 3- und 6-Kanal-Konfigurationen erhältlich. Kompatibel mit DSI-Adaptern.

Datenerfassungsmodul KRYPTON-6xSTG – Differenzspannungs-Messverstärker, Voll-/Halb-/Viertelbrücke

Die Software DewesoftX zur Datenerfassung, -aufzeichnung und -analyse ist bei allen Datenerfassungssystemen von Dewesoft im Lieferumfang enthalten.

Vorabprüfung der Passgenauigkeit

Diese Tests bilden das Kernstück dieser speziellen Anforderung. Hier werden fünf extrem dünne Kraftsensoren auf der Rückseite der Hitzeschutzkachel angebracht, und zwar einer an jeder Ecke und einer in der Mitte. Dann wird die Kachel gegen die Struktur platziert, um die an den fünf Stellen erzeugten Lasten abzulesen. 
Die Lasten werden mithilfe der Software DewesoftX gemessen, die über einen mathematischen Vergleichskanal verfügt, mit dem sich prüfen lässt, ob alle fünf Drücke innerhalb einer bestimmten prozentualen Toleranz liegen, um die gleichmäßige Passform der Kachel zu bestätigen.
Mit der Aufzeichnungsfunktion der DewesoftX-Software kann der Techniker die Seriennummer der Kachel und ihre Position auf der Struktur nun als Header-Information eingeben. Bei der Durchführung des Tests wird der Messwert jeder Wägezelle zusammen mit einer einfachen grünen oder roten Pass-Fail-Anzeige angezeigt. Schließlich wird aus den erhaltenen Daten automatisch ein Bericht für die Qualitätskontrolle erstellt, der dokumentiert, dass der Test abgeschlossen wurde.

Verifizierung der Messgeräte

In bestimmten kritischen Bereichen des Raumfahrzeugs werden Außendruck- und Temperatursensoren in die Kacheln integriert. Diese Sensoren sollen den Technikern und dem Bodenpersonal helfen, zu beobachten, was während kritischer Flugphasen an der Außenseite des Raumfahrzeugs geschieht. 

Da sich die Dewesoft-Datenerfassungshardware flexibel an die zu messenden Eingangssignale anpasst, können diese Sensoren zur Bestätigung ihrer Funktionsfähigkeit und der Messgenauigkeit nun sowohl vor als auch nach der Montage der Kacheln komplett überprüft werden.

Abb. 3: Die TPC-Kacheln werden mit RTV und anderen Klebstoffen an der Struktur befestigt

Überwachung des Vakuum-Bagging-Prozesses

Nach Bestätigung der Passgenauigkeit und Überprüfung der Messgeräte kann die Kachel dauerhaft an der Struktur angebracht werden. Dazu wird jede Kachel von Hand mit RTV und anderen Klebstoffen an der Struktur befestigt und ihre korrekte Positionierung mithilfe verschiedener Instrumente bestätigt. Zum Sicherstellen der perfekten Befestigung an der Struktur wird die Kachel zum Aushärten der Verbindung in einem Vakuum platziert.

Die Datenerfassungssoftware DewesoftX umfasst fortschrittliche mathematische Funktionen, einschließlich des Dewesoft-Sequencers, der die Steuerung des Testablaufs in der Software ohne Programmierkenntnisse ermöglicht.

Der Dewesoft-Sequencer ist ein leistungsstarkes Werkzeug, mit dem Sequenzen erstellt werden können – also geordnete Listen von Verfahrensanweisungen, die die Dewesoft-Software nacheinander ausführt. Mehrere Sequenzen können kombiniert werden, um Testverfahren vollständig zu automatisieren, Pass/Fail-Kriterien zur Anwendung zu bringen und automatisch Berichte zu erstellen.

Sequenzdesign-Benutzeroberfläche in DewesoftX

In unserem konkreten Fall wird der Dewesoft-Sequencer dazu verwendet, zur Rückkopplungskontrolle und genauen Regulierung des Vakuums ein Signal an die Vakuumpumpensteuerung und einen Drucksensor zu senden. Der Sequencer überwacht den Vorgang und generiert einen Alarm, wenn die korrekten Drücke nicht erreicht werden, und erstellt schließlich einen Bericht über den gesamten Vakuumprozess für die Qualitätskontrolle.

Abb. 4: Mit einer Wägezelle, die an einer Vakuum-Spannvorrichtung befestigt ist, wird die Haftfestigkeit der Kachel an der Struktur geprüft

Haftfestigkeitsprüfung

Wenn die Kacheln ordnungsgemäß an der Struktur des Raumfahrzeugs angebracht wurden, wird als letzter Test der Haftung der Kacheln an der Struktur noch eine Haftfestigkeitsprüfung durchgeführt. 

Dazu wird das Signal einer Wägezelle gemessen, die an einer Vakuumspannvorrichtung befestigt ist, die sich an die Außenkontur der Kachel anschmiegt. Mit Hilfe der Eingabefelder in der DewesoftX-Software können die Bediener Schlüsselvariablen für die Größe der Oberfläche der Kachel und ihre Position auf der Struktur eingeben. Diese Eingaben werden dazu verwendet, mittels einer mathematischen Berechnung die passende Zugbelastung für die Prüfung der Haftfestigkeit der Kachel zu bestimmen.

In der ersten Phase der Haftfestigkeitsprüfung wird von Hand an der Kachel gezogen, wobei Mess- und Alarmfunktionen in DewesoftX den korrekten Ablauf der Prüfung gewährleisten. In der zweiten Testphase wird ein durch eine Dewesoft-PID-Schleife (Proportional-Integral-Differential) – einer mathematischen Berechnung des geschlossenen Regelkreises – gesteuerter Aktuator zur Automatisierung der Kontrolle der Zugbelastung der Kachel verwendet.

Fazit

Dewesoft war in der Lage, acht identische KRYPTON-Datenerfassungssysteme zu liefern, die von verschiedenen Technikern auf ihren Produktionswagen eingesetzt werden können, und SNC entwickelt ihre Sequenzen weiter, um die Automatisierung und Prozesssteuerung für alle Konstruktionsphasen zu verbessern.

Wir halfen, zusätzliche Anwendungen zu identifizieren, die zur Verbesserung des Dream-Chaser-Bauprozesses beitragen, und zeigten, wie mit ein und derselben Hardware verschiedene andere Prozesse verbessert werden können. Indem wir über die ursprünglichen Anforderungen hinausgingen, ermöglichten wir die Nutzung zusätzlicher Funktionen. Den Ausschlag für Dewesoft gab letztendlich die Leichtigkeit, mit der unser Sequencer die Automatisierung realisiert. 

Quellen