Emanuele Burgognoni

Dienstag, 1. Juli 2025 · 0 min read

by Engineering Controls Srl

Berechnung der Zugbeanspruchung von Ketten und Zugstangen in einem historischen Gebäude

Die Bewahrung des historischen Erbes Italiens stellt eine Herausforderung dar, die für den Schutz unserer kulturellen Identität von entscheidender Bedeutung ist. Das Casa Desanti-Bossi in Novara ist ein prägendes Element der reichen Geschichte des Landes. Heute gewährleisten Verstärkungssysteme, insbesondere Zugstangen, die strukturelle Stabilität dieses historischen Gebäudes und die Erfüllung moderner Sicherheits- und Nutzbarkeitsanforderungen. Engineering Controls Srl verwendete Dewesoft-Produkte zur Analyse der Resonanzfrequenzen der verwendeten Zugstangen. Darüber hinaus überwacht das Unternehmen die Struktur und die Stützsysteme. Dies trägt zur Schadensvermeidung bei und senkt die Wartungskosten.

Engineering Controls Srl ist ein italienisches Bauingenieurbüro, das 1988 gegründet wurde und dessen Tätigkeitsbereiche den Tiefbau, die Geotechnik und den Straßenbau sowie Labortests und Materialuntersuchungen vor Ort umfassen. Das Unternehmen übernahm die Überwachung und Analyse des großen Casa Desanti-Bossi in Novara. Diese Villa wurde vom berühmten Architekten Alessandro Antonelli entworfen und ist ein Wahrzeichen der klassizistischen Architektur Italiens.

Bau und historische Entwicklung

Alessandro Antonelli (14. Juli 1798 – 18. Oktober 1888) ist für seine bedeutenden Bauwerke bekannt, zu denen die nach ihm benannte Mole Antonelliana in Turin gehört, und war darüber hinaus unter anderem verantwortlich für den Umbau der Kathedrale und die Vollendung der Kirche San Gaudenzio in Novara.

Das zwischen 1857 und 1861 ebenfalls in Novara errichtete Casa Desanti-Bossi zeichnet sich durch eine besondere Ausgewogenheit zwischen monumentalen Formen und dekorativen Details aus. Antonelli entwarf die Villa als innovatives bürgerliches Wohnhaus, das die gesellschaftlichen Veränderungen während des 19. Jahrhunderts widerspiegelte – einer Zeit wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Umbrüche auf dem Weg in die Moderne.

Abb. 1: Foto aus den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts

Das ursprünglich im Besitz der Familie Desanti befindliche Casa Bossi wechselte mehrmals den Besitzer und seine Funktion.  Im Jahr 1880 erwarb Cavaliere Carlo Bossi das Gebäude, das bis heute seinen Name trägt. Nach dem Tod des letzten Erben der Familie Bossi im Jahr 1951 wurde das Gebäude zunächst der Internatsschule Civico Istituto Dominioni und im Jahr 1990 schließlich der Gemeinde Novara geschenkt. Seit 1980 steht es aufgrund seiner historischen und künstlerischen Bedeutung unter Denkmalschutz.

Das Gebäude ist ein perfektes Beispiel für den Klassizismus, enthält jedoch auch Elemente, die die Romantik und den Übergang zu einer eher industriellen Bauweise vorwegnehmen. Antonelli schuf ein Bauwerk, das moderne Wohnräume mit traditionellem Bauschmuck verbindet. Das Casa Bossi spiegelt deutlich die kulturellen Veränderungen wider, die in seiner Entstehungszeit stattfanden.

Abb. 2: Anzeichen von Verfall an der Fassade des Casa Desanti-Bossi.

Strukturelle Probleme und Degradation

Im Laufe der Zeit setzte am Casa Bossi jedoch ein fortschreitender Verfall ein. Einige dekorative Details wurden durch nachträgliche Eingriffe – etwa den Anbau angrenzender Gebäude an die Fassaden – verdeckt und viele Teile des Bauwerks über Jahre hinweg sträflich vernachlässigt. Erst in den letzten Jahrzehnten erkannten die Gemeinde und die zuständigen Behörden die Notwendigkeit struktureller und konservatorischer Maßnahmen.

Im Jahr 2010 brachten die Gemeinde und die FAI Projekte zur Sanierung des Gebäudes auf den Weg. Die FAI ist eine 1975 gegründete gemeinnützige Stiftung, die sich dem Schutz und der Förderung des historischen, künstlerischen und landschaftlichen Erbes Italiens widmet. Zu ihren bedeutendsten Initiativen gehörte das Projekt „Casa Bossi – Centro Culturale Urbano e Sistema Antonelliano“, das darauf abzielte, das Gebäude in ein Kulturzentrum zu verwandeln. Das Projekt umfasste Maßnahmen zur strukturellen Konsolidierung sowie den Einsatz moderner Technologien zur Zustandsüberwachung und Verwaltung der Räumlichkeiten unter Wahrung des ursprünglichen Stils.

Weiterführende Informationen finden Sie auf der Website von FAI.

Konsolidierung von Bogen und Gewölben

Im Inneren des Casa Bossi finden sich gemauerte Bogen und Gewölbe, die in historischen Gebäuden häufig dazu dienten, die oberen Geschosse zu tragen. Im Laufe der Zeit können diese Elemente jedoch strukturelle Schäden erleiden. Dieser Prozess, der oft durch eindringendes Wasser, Vibrationen, Erdbeben oder übermäßige Belastungen beschleunigt wird, führt zu Rissen, Verformungen und Teilversagen. Innere Spannungen können die Gesamtstabilität beeinträchtigen, insbesondere wenn Pfeiler oder Strebepfeiler den horizontalen Schubkräften nicht ausreichend entgegenwirken.

Links ist ein Beispiel für das Versagen eines Bogens zu sehen. Rechts ist die konsolidierende Wirkung eines Zugstabs in der Laibung zu sehen

Konsolidierung mit Zugstangen

Eine häufig angewandte Methode zur Behebung von Stabilitätsproblemen ist die Konsolidierung mithilfe von Zugstangen aus Metall oder modernen Hochleistungswerkstoffen, die dazu dienen, horizontale Kräfte auszugleichen. Sie tragen zur gleichmäßigeren Lastverteilung bei und erhöhen die strukturelle Stabilität des Bauwerks. Zugstangen können auf unterschiedliche Weise installiert werden:

  • In Bogen oder Gewölben: im Mauerwerk verborgen, um die ästhetische Integrität des Bauwerks zu wahren

  • Am Gewölberücken: integriert in tragende Auflagen aus Beton oder Verbundwerkstoffen

  • In Verbindung mit neuen Strukturen: beispielsweise bei Systemen, die Bogen mit Rahmenkonstruktionen oder darüberliegenden Decken verbinden und so die Gewölbe in hängende Tragwerke verwandeln, um die auf die Pfeiler wirkenden Schubkräfte zu verringern

Bei diesen Eingriffen kommen häufig neue Materialien wie faserverstärkte Mörtel oder Epoxidharze zum Einsatz. Sie verbessern die Tragfähigkeit, ohne den historischen und architektonischen Wert der Strukturen zu beeinträchtigen.

Obwohl diese Elemente die Struktur verstärken, sind auch sie dennoch Verschleißfaktoren ausgesetzt, die die Zugspannung beeinträchtigen. Der Verschleiß kann den Werkstoff oder den Befestigungspunkt der Zugstange selbst betreffen. Aus diesem Grund überwacht Engineering Controls Srl den Spannungszustand der Zugstangen. Für diese Überwachung kommen zwei verschiedene Verfahren in Betracht: 

1. Statische Methode

Diese Methode basiert auf dem statischen Gleichgewicht der Kette und berücksichtigt die folgenden Faktoren: 

  • Eigengewicht der Kette: durch die Schwerkraft auf die lineare Masse wirkende Kraft 

  • Kettengeometrie: Spannweite, Pfeilhöhe (Krümmung) und Lagerungsart (gelenkig oder eingespannt) 

  • Externe Lasten: auf die Struktur einwirkende Kräfte (z. B. Wind- oder verteilte Lasten) 

Ingenieure berechnen die Zugkraft mithilfe von Formeln aus der Mechanik starrer Körper. Dabei wird das Verhältnis zwischen der verteilten Last, der horizontalen Spannweite und der Pfeilhöhe der Kettenlinie betrachtet. Die Zugkraftformel für eine Kettenlinie lautet: 

\[T= \frac{qL^2}{8f} \]

wobei 

  • T die maximale Zugkraft, 

  • q die verteilte Last (z.B. Eigengewicht pro Längeneinheit), 

  • L die horizontale Spannweite der Kette, 

  • f die Pfeilhöhe der Kette ist. 

2. Dynamische Methode (Modalanalyse)

Diese Methode nutzt das dynamische Verhalten der Kette, um die Zugkraft zu bestimmen. Sie ist besonders geeignet, wenn dynamische Kräfte (z. B. Wind oder Verkehr) Schwingungen in der Kette anregen. Die Schritte umfassen: 

  1. Messung der Eigenfrequenzen: Erfassung der Schwingungsfrequenzen, etwa mit Beschleunigungssensoren oder Geophonen 

  2. Abgleich mit theoretischen Modellen: Berechnung der für Schwingungen der Kette bei diesen Frequenzen erforderlichen Zugkraft unter Verwendung der Bewegungsgleichungen eines frei schwingenden Systems

Beziehung zwischen Zugkraft und Frequenz:

\[T=4 \pi^2mL^2f^2\]

Dabei ist 

  • T die Zugkraft, 

  • m die lineare Masse der Kette, 

  • L die Spannweite der Kette, 

  • f die Eigenfrequenz einer bestimmten Mode.

Versuchsaufbau zur Analyse der Zugstangen im Casa Desanti-Bossi

Abb. 4: Versuchsaufbau zur Zugstangen-Schwingungsanalyse

Engineering Controls Srl führte dynamische Tests durch, um die auf die Zugstangen im Casa Desanti-Bossi wirkenden Zugkräfte zu untersuchen.

Das dazu verwendete System wurde wie folgt konfiguriert:

Ziel der Analyse war es, die Zugkraftwerte durch Variation der Randbedingungen der Zugstange zu ermitteln. Die Grundlage dafür bildeten die gemessenen Resonanzfrequenzen. Zu diesem Zweck führten die Ingenieure eine Betriebsmodalanalyse der durch Umgebungseinflüsse wie Wind oder Erschütterungen angeregten Schwingungen der Zugstange durch.

Auf einem Balken montierter Beschleunigungsmesser

Verfahren zur Zugkraftberechnung

Die Zugkräfte in der Kette wurden während der Zugstangenanalyse in den folgenden, genau festgelegten Schritten ermittelt:

Abb. 6: Komplettes Gewölbe im Casa Desanti-Bossi (mit Zoom auf den montierten Sensor)

1. Identifizierung der Kettenparameter

Die Stahlkette weist die folgenden geometrischen und mechanischen Merkmale auf:

  • Ø (Durchmesser): 2,40 cm

  • A (Schnittfläche): 4.52E-04 m²

  • Spezifisches Gewicht: 7830 daN/m³

  • Elastizitätsmodul (E): 1.96E+10 daN/m²

Diese Werte definieren den Widerstand und das elastische Verhalten des Materials unter Belastung.

2. Betriebsmodalanalyse der Zugstange

Nachdem Engineering Controls Srl die Beschleunigungssensorwerte erfasst hatte, ermittelten die Ingenieure die Resonanzfrequenzen, bei denen die Kette Eigenschwingungen ausführt. Obwohl die Analyse darauf abzielte, die Resonanzfrequenzen zu bestimmen, hätte eine einfache FFT nicht ausgereicht, um die relevanten Frequenzen zu identifizieren. Jedes schwingende Element der Struktur, das direkt mit der Zugstange verbunden ist, erzeugt bei der Ermittlung der Resonanzfrequenzen der Zugstange spektrales Rauschen. Daher war eine Modalanalyse mit Untersuchung der Eigenformen der Zugstange notwendig, um Störfrequenzen im Spektrum auszuschließen. 

Abb. 7: Stabilitätsdiagramm aus der Modalanalyse einer Zugstange
  • Die farbigen Indikatoren stellen die stabilen (gelb) und instabilen (rot) Moden dar. 

  • Die Frequenzen auf der X-Achse zeigen die durch die vertikalen Linien hervorgehobenen Resonanzstellen der Kette.

3. Berechnung der Zugkraft in der Kette

Engineering Controls Srl präsentierte die Berechnung der Zugkraft (T) für zwei angenommene Randbedingungen:

  • Auflager-Auflager: gelenkige Lagerung der Kette an beiden Enden

  • Einspannung-Einspannung: starre Einspannung der Kette an den Enden

Jede Lagerungsart erzeugt unterschiedliche Zugkraftwerte (gemessen in daN), die die inneren Kräfte zeigen, die erforderlich sind, um die Kette im Gleichgewicht zu halten.

Mit analytischen Formeln lässt sich die Zugkraft in einer Kette ausgehend von ihren Eigenschwingungsfrequenzen unter Berücksichtigung bestimmter vereinfachender Annahmen berechnen. Es wird angenommen, dass

  • die Kette gleichmäßige geometrische Eigenschaften über ihre gesamte Länge aufweist,

  • die Biegesteifigkeit der Kette vernachlässigbar ist,

  • die Endlagerungen starr (nicht verformbar) sind.

Die Ingenieure ermittelten die Zugkraft T aus der Beziehung zu den Eigenschwingungsfrequenzen des Systems. Bei Mode n hängt die Eigenfrequenz fn von mehreren wichtigen Faktoren ab, darunter:

  • Kettenlänge (L)

  • Elastizitätsmodul (E)

  • Masse pro Längeneinheit (Pl)

  • Erdbeschleunigung (g)

  • Randbedingungskoeffizient (kn)

\[f_n= \frac{n}{2L}\sqrt{\frac{g}{P_l}(T+ \frac{k^2_nn^2 \pi ^2 EJ}{L^2})}\]

Dabei ist

  • n die betrachtete Schwingungsmode,

  • J das Flächenträgheitsmoment des Kettenquerschnitts.

Technischer Bericht mit Stabilisierungsdiagramm

Fazit

Das Casa Desanti-Bossi ist trotz der anhaltenden Herausforderungen, die sein baulicher Verfall mit sich bringt, nach wie vor von großem kulturellen und symbolischen Interesse. Die Gemeinde Novara arbeitet daran, dem Gebäude seine frühere Schönheit zurückzugeben. Dabei wird der Einsatz neuer Technologien mit dem Respekt vor der Geschichte kombiniert.

Es ist sehr wichtig, die verschiedenen Gebäudeteile und Tragsysteme kontinuierlich zu überwachen, um das Kulturdenkmal vor allmählich auftretenden, natürlichen Schäden zu schützen.

Die Analysen an den Zugstangen sind für diesen Überwachungsprozess von grundlegender Bedeutung. Sie erfordern zerstörungsfreie Instrumente und Verfahren, die die Bausubstanz nicht beeinträchtigen.

Die Berichte von Engineering Controls Srl dokumentieren die zum Schutz des Bauwerks ergriffenen Maßnahmen. Die Schadensindikatoren werden von spezialisierten Ingenieurbüros kompetent bewertet. Diese Art von Analysen ist daher unerlässlich für

  • die Bewertung der strukturellen Sicherheit,

  • die Identifizierung möglicher kritischer Zustände (z. B. übermäßige Spannungen oder Instabilität) und

  • die gezielte Planung von Instandhaltungs- oder Verstärkungsmaßnahmen.

Wir danken Engineering Controls Srl und den Fachleuten, die die Analysen durchgeführt haben, für die Bereitstellung der in diesem Artikel verwendeten Daten. Unser besonderer Dank gilt:

  • Geometer Davide Gondolo

  • Ingenieur Alessandro Gaiotti

  • Architekt Diego Dutto