Samuele Ardizio / Lorenzo Mosenich (CEO, EASTING)

Mittwoch, 17. Mai 2023 · 0 min read

by EASTING

Schwingungstests zur Verbesserung des Fahrkomforts bei einem Luxus-Oldtimer

Um den Schwingungskomfort eines Autojuwels aus den 1960er-Jahren – einer Lancia Flaminia – zu verbessern, führten wir einige Schwingungstests und -analysen durch. Das Auto befindet sich derzeit in Besitz eines begeisterten Oldtimer-Sammlers, der bei laufendem Motor unerwartete Vibrationen spürte. Obwohl er sich selbst sehr gut mit NVH auskennt, beauftragte er die Firma EASTING, einen Dewesoft-Kunden, mit der Analyse des Schwingungskomforts seines Autos.

Die Lancia Flaminia

Lancia war ein italienischer Automobilhersteller, der 1906 gegründet wurde und für die Herstellung einer Reihe von Luxusfahrzeugen bekannt war. Lancia brachte 1957 die erste Flaminia auf den Markt, für die der italienische Autodesigner und Karosseriebauer Carrozzeria Pininfarina die Limousinenversion entwarf. Das Auto war nach der Via Flaminia benannt, einer der wichtigsten römischen Straßen, die 220 v. Chr. angelegt wurde. In der freien Enzyklopädie Wikipedia sind zum Lancia Flaminia unter anderem die folgenden Angaben zu finden:

  • Die Lancia Flaminia (Typ 813/823/824/826) ist ein Automobil der Oberklasse des Herstellers Lancia, das von Frühjahr 1957 bis Anfang 1970 produziert wurde. Sie war das damalige Flaggschiff von Lancia und löste die Aurelia ab. Sie war über den gesamten Produktionszeitraum als Limousine, Coupé und Cabriolet erhältlich. Die Coupés und Cabriolets der Flaminia besaßen Sonderkarosserien, die von verschiedenen renommierten italienischen Karosseriebauern entwickelt und produziert wurden. Pininfarina baute auch vier auf der Flaminia basierende verlängerte „Präsidenten-Limousinen“ für Staatsanlässe.

  • Im Laufe von 13 Jahren wurden 12 633 Flaminias verkauft. Die Coupés verkauften sich besser als die viertürige Limousine, was ungewöhnlich und sonst nur bei amerikanischen Kompakt- und Mittelklassemodellen zu beobachten war, deren Coupé-Versionen serienmäßig gefertigt wurden und gleich viel oder weniger als die entsprechenden Limousinen kosteten, während die Flaminia-Coupés durch ihre Sonderkarosserien deutlich teurer waren als die Berlina genannten Limousinen.

Die Flaminia war das letzte Modell, das entwickelt wurde, bevor der Automobilhersteller in Konkurs ging und schließlich 1969 von Fiat übernommen wurde. 

Das getestete Fahrzeug befindet sich im Besitz eines Sammlers mit einer Leidenschaft für Technik und Oldtimer und wird heute für Hochzeiten und andere festliche Anlässe genutzt.

LANCIA FLAMINIA LIMOUSINE (1963-1967)

Typ der SpezifikationenTeilSpezifikationen
MOTOR – 2800ZylinderV6
Hubraum2775 cm3
Leistung95 KW @ 5000 RPM129 PS @ 5000 RPM127 BHP @ 5000 RPM
Drehmoment228.5 Nm @ 2500 RPM
KraftstoffsystemVergaser
KraftstoffBenzin
Tankinhalt58-liter
LEISTUNGHöchstgeschwindigkeit171 km/h (106 mph)
GETRIEBEAntriebsartRear Wheel Drive
GetriebeManual, 4 Speed
BREMSENVorneDiscs
HintenDiscs
REIFENReifengröße205/55 - R16
ABMESSUNGENLänge4855 mm
Breite1750 mm
Höhe1480 mm
Spurweite vorne/hinten1,368/1,370 mm
Radstand2870 mm
Bodenfreiheit140 mm
Luftwiderstand (cw-Wert)0.48
GEWICHTLeergewicht1560 kg
KRAFTSTOFFVERBRAUCH (NEFZ)CO2-Emissionen247 g/km

Der Testpartner – EASTING

Für die Testdienstleistungen konsultierten wir die Firma Easting, die sich der Entwicklung und Anpassung von Messlösungen widmet. Sie war für uns der ideale Partner für die Fehlersuche. Die Erfahrung der Firma im Testwesen ermöglicht es ihr, ihre Kunden durch alle Schritte der Messverfahren zu führen – von der Auswahl, Lieferung und Konfiguration der am besten geeigneten Geräte bis hin zur Verarbeitung und Analyse der gemessenen Daten.

Abb. 1: Die Elektronikabteilung der Easting-Gruppe ist in der Lage, neue Werkzeuge zu entwickeln und Messlösungen an die Bedürfnisse spezifischer Kunden anzupassen
Abb. 2: Lorenzo Mosenich bei der Prüfung des Messaufbaus

Das Problem – Wellenunwuchten

Der Oldtimer-Sammler bat Easting, sich um die Schwingungsprobleme bei seiner Lancia Flaminia Berlina aus den 1960er-Jahren zu kümmern, bei der der Fahrkomfort durch störende Vibrationen beeinträchtigt wurde. Konkret handelt es sich um eine Limousine mit Heckantrieb und V6-Zylinder-Motor mit 2,8 Litern Hubraum.

Die Flaminia-Modellreihe hat die Besonderheit, dass sie mit einem Transaxle-Antrieb ausgestattet ist, bei dem das Getriebe vom Motor getrennt auf der angetriebenen Achse sitzt und über eine Kardanwelle mit dem Motor verbunden ist. Diese Transaxle-Welle überträgt die Kraft des Motors auf die Hinterräder und sorgt für die zum Beschleunigen und Abbremsen benötigten Getriebeübersetzungen.

Die bei Lancia in der Regel leichten und effizienten Transaxle-Wellen kamen in verschiedenen Modellen des Herstellers zum Einsatz. Sie waren für ihre Zuverlässigkeit und Langlebigkeit bekannt und eine Schlüsselkomponente vieler erfolgreicher Fahrzeuge des Unternehmens.

In der Regel ist die Kupplung in Autos direkt mit dem Antriebsstrang verbunden. Bei der Flaminia jedoch befindet sich die Kupplung im Getriebegehäuse im hinteren Teil des Fahrzeugs. Das Getriebe ist bei diesem Fahrzeug mit dem Differential und den hinteren Bremsen zu einer Einheit verblockt. Diese raffinierte technische Lösung verbessert die Gewichtsverteilung, den Grip und die Bremswirkung.

Dies bedeutet jedoch, dass sich die Kardanwelle immer mit der Kurbelwelle des Motors dreht. Infolge dieser Konstruktion werden eventuelle Unwuchten der Kardanwelle im Fahrzeug spürbar, und zwar selbst unter ruhigsten Bedingungen, wie im Leerlauf oder bei niedrigen Motordrehzahlen.

Abb. 3: Schematische Darstellung des Getriebesystems der Lancia Flaminia

Abbildung 3 – Beschreibung der Komponenten

NummerBeschreibung
1Welle, Getriebefernsteuerung
2Welle, Getriebesteuerungshebel
3Endgetriebe Steuerhebelwelle unten
4Joch, Getriebewähler
5Getriebe
6Knauf, Getriebesteuerungshebel
7Hebel, Kupplungspedal
8Hebel, Gangwählerzwischenwelle
9Hebel, Getriebesteuerungshebel
10Pedal, Kupplung
11Stange, Kupplungssteuerung
12Stange, Getriebesteuerung
13Stange, Gangwähler
14Antriebswelle
15Antriebswellenbaugruppe

Der Besitzer bat Easting um Unterstützung zur Verbesserung des Fahrkomforts seines Fahrzeugs. Wir machten uns daran, die Unwucht der Kardanwelle zu verringern und den Zustand der Gummilager von Getriebe und Motor zu überprüfen.

Die Lösung

Es war eine NVH-Prüfung (Noise, Vibration, and Harshness) erforderlich. NVH ist eine technische Disziplin, die die Geräusch- und Schwingungseigenschaften von Fahrzeugen untersucht, zum Beispiel:

  • Fahrqualität (Komfort)

  • Charakterisierung von Getriebe, Antriebsstrang und Pumpe (Leerlauf, Rasseln, Heulen usw.)

  • NVH des Antriebsstrangs

  • Betriebsschwingformanalyse

  • Rotationsmaschinendiagnose

  • Übertragungsweganalyse und strukturelle Ausbreitungsanalyse

Für die Unwuchtmessung setzten wir Datenerfassungsgeräte aus der SIRIUS-Familie und die DewesoftX-Software mit dem Auswuchtmodul und den ODS-Funktionen des Modaltest-Moduls ein.

Systemkonfiguration

Die Auswahl der verwendeten Module entspricht der bei EASTING zur Verfügung stehenden Ausstattung. Für unsere Schwingungstests setzten wir die folgende Ausrüstung ein:

  • SIRIUS-HD-16xACC – 16-kanaliges Differential-DAQ-Modul aus der SIRIUS-HD-Reihe mit Spannungs- und IEPE-Eingangsmodi

  • SIRIUSm-3xACC-1xACC+ – 4-kanaliges Differential-DAQ-Modul aus der SIRIUSm-Reihe mit Spannungs- und IEPE-Eingangsmodi

  • SIRIUS-CUSTOM – 16-kanaliges SIRIUS-DAQ-Modul

  • DewesoftX – Datenerfassungssoftware für Datenaufzeichnung, Signalverarbeitung und Datenvisualisierung

  • DewesoftX Rotor Balancer – Ein- und Zwei-Ebenen-Auswuchten für DewesoftX

  • DewesoftX Modal Test – Modaltest-Add-on für DewesoftX 

  • 8x triaxialer Beschleunigungssensor PCB Piezotronics 

  • 1x Tachoabnehmer für Drehzahl

Abb. 4: Systemkonfiguration mit drei vollständig synchronisierten SIRIUS-Modulen
Abb. 5: Die spezifische Auswahl der verwendeten Module entspricht der bei EASTING zur Verfügung stehenden Ausstattung

Auswuchten von Fahrzeugachsen

Beim Auswuchten wird die mit der Fahrzeugachse rotierende Masse gleichmäßig verteilt. 

Dewesofts Auswucht-Tool für rotierende Körper funktioniert in einer einfachen Drei-Schritte-Sequenz:

  1. Aufzeichnen des Ist-Zustandes

  2. Anbringen einer Versuchsmasse

  3. Anbringen der berechneten Ausgleichsmasse im passenden Winkel

Für das Anbringen der Ausgleichsmassen ohne Veränderung des ursprünglichen Designs entwickelten wir ein spezielles Paar Schellen. 

Abb. 6: Positionierung der beiden Schellen am Antriebsstrang des Fahrzeugs

Zur Reduzierung von Schwingungen erster Ordnung setzten wir das Auswucht-Softwaremodul von Dewesoft ein. 

Prinzipiell funktionierte dies folgendermaßen: 

  • Wir maßen den Ausgangszustand und brachten dann ein Versuchsgewicht bekannter Masse an. 

  • Wir berechneten die Position und Masse eines Gegengewichts.

  • Wir entfernten das Versuchsgewicht und fügten auf der gegenüberliegenden Seite das berechnete Gewicht hinzu, um die Unwucht auszugleichen.

So gelang es uns, die Schwingungen an den empfangenden Beschleunigungssensoren um 70 % zu reduzieren.

Abb. 7: Bildschirm für die Messung der Rotorauswuchtung in DewesoftX

Wir waren stolz auf unser Ergebnis und baten den Eigentümer um eine subjektive Bewertung. Sein Urteil war, dass es besser geworden, aber nicht perfekt sei.

Also führten wir weitere Analysen der Lager durch. Unser Auswuchtverfahren könnte durch eine verdächtige Eigenfrequenz beeinflusst worden sein. Man sollte nie resonanznah auswuchten! Außerdem analysierten wir ein elastisches System, das mit der Temperatur und der Belastung seine Eigenschaften ändert.

Um das Verhalten des Unterbodens besser zu verstehen, instrumentierten wir das Fahrzeug für die Durchführung eines ODS-Tests.

Betriebsschwingformanalyse (ODS)

Die Betriebsschwingformanalyse (Operating Deflection Shape, ODS)  ist eine Technik, die dazu dient, die Ursache von Problemen in mechanischen Systemen, wie z. B. Vibrationen, Lärm oder Ermüdungsversagen, zu ermitteln. Sie visualisiert die Bewegung einzelner Komponenten während des Betriebs und zeigt, wie sich eine Maschine oder eine Struktur unter gegebenen Betriebsbedingungen bewegt. Beim ODS-Test kommen keine künstlichen Kräfte zur Anwendung; die zu prüfende Maschine wird nur durch sich selbst angeregt, und es werden lediglich Antwortschwingungssignale gemessen.

Eine Reihe von Sensoren, meist Beschleunigungsmesser, werden an strategischen Stellen des mechanischen Systems angebracht. Diese Sensoren messen die Bewegung der Systemkomponenten während des Betriebs. Aus den Daten kann eine grafische Darstellung der Systembewegung erstellt werden, die als Betriebsschwingform bezeichnet wird.

Mittels der Analyse der Betriebsschwingformen eines Systems können Ingenieure und Techniker Bereiche mit übermäßiger Belastung oder Bewegung identifizieren. Sie können dann Maßnahmen ergreifen, um das Problem zu beheben und die Zuverlässigkeit und Performance des Systems zu verbessern.

Abb. 8: Überprüfung der Platzierung der Sensoren

Frequenz-Betriebsschwingformanalyse (FODS)

Die Frequenz-Betriebsschwingformanalyse (Frequency Operating Deflection Shapes, FODS) ist eine Variante der Betriebsschwingformanalyse (ODS), die der Analyse eine Frequenzkomponente hinzufügt. Wie die ODS dient auch die FODS zur Analyse des dynamischen Verhaltens mechanischer Systeme während des Betriebs mittels der Visualisierung der Bewegung ihrer Komponenten. Die FODS geht jedoch noch einen Schritt weiter, indem sie die Bewegungsfrequenz analysiert, was zusätzlichen Einblick in das Verhalten des Systems geben kann.

Die Daten werden analysiert, um die Frequenz der Komponentenbewegung zu bestimmen. Dabei wird eine grafische Darstellung der Bewegungen des Systems bei verschiedenen Frequenzen, die sogenannte Frequenz-Betriebsschwingform, erzeugt. Die Frequenz-ODS ist die einfachste Methode, um festzustellen, wie sich eine Maschine oder Struktur während des Betriebs bei bestimmten Frequenzen bewegt.

Abb. 9: Messanordnung im Fahrzeug

Bei unserer Messung des Getriebesystems der Flaminia erfassten wir zur schnellstmöglichen Durchführung des Tests nur die Rohsignale.

Ein Vorteil der FODS gegenüber der ODS besteht darin, dass sich mit ihr Bereiche mit übermäßiger Bewegung oder Belastung bei bestimmten Frequenzen ermitteln lassen. Dies kann besonders nützlich sein, um Probleme zu erkennen, die bei einer einfachen ODS-Analyse nicht auffallen würden. Vibriert ein System zum Beispiel bei einer bestimmten Frequenz, dann kann eine ODS-Analyse die Ursache des Problems möglicherweise nicht aufdecken. Mittels einer FODS-Analyse hingegen lassen sich die Komponenten identifizieren, die sich bei dieser Frequenz übermäßig bewegen, und sie kann so dazu beitragen, die Grundursache des Problems zu ermitteln.

Ein weiterer Vorteil der FODS ist, dass sie eine tiefere Einsicht in das dynamische Verhalten eines Systems ermöglicht. Durch die Analyse der Bewegungen der Systemkomponenten bei verschiedenen Frequenzen lassen sich Muster oder Trends in den Daten erkennen, die bei einer einfachen ODS-Analyse möglicherweise nicht ersichtlich sind. Die FODS kann potenzielle Probleme identifizieren oder zur Entwicklung von Strategien zur Verbesserung der Systemperformance verwendet werden.

Die DewesoftX-Modaltest-Suite unterstützt ODS- und FODS-Tests. Bei der Frequenz-ODS wird einer der Beschleunigungssensoren als Anregungsreferenzsignal und die anderen als Antwortsensoren definiert. Wie in der Software üblich, können Animationen angezeigt werden, die jedoch nur in Bereichen mit guter Kohärenz optimal funktionieren.

Der einzige online aktivierte Mathematikkanal war der für die Berechnung des Drehzahlwertes aus der Spannungsimpulsfolge des Tachoabnehmers. 

Abb. 10: Ergebnis der Winkelsensor-Mathematik
Sehen Sie sich die Aufzeichnung an: Ergebnis der Winkelsensor-Mathematik

Die Analyse umfasste die Betriebsschwingform der gemessenen Punkte und die Bewertung der Schwingungsgröße bei kritischen Drehzahlen/Ordnungen.

Bei der Ordnungsanalyse werden Ordnungen von Rotations- oder Kolbenschwingungen identifiziert. Die erste Ordnung ist der Referenzwert, der der Maschinendrehzahl (U/min) entspricht. In anderen Worten sind die erste Ordnung und die Umdrehungsfrequenz derselbe Wert. Die nachfolgenden Ordnungen (2., 3., 4. usw.) sind Vielfache dieses Wertes.

Abb. 11: Softwareschnittstelle des Modaltest-Plug-ins in DewesoftX

Fazit

Unsere ODS-Analyse zeigte eine Reduzierung der ersten Ordnung bei der Synchronfrequenz, am Getriebe war aber noch stets eine „recht lebhafte“ Schwingform bei 12 Hz messbar. Auch wenn wir das Problem mit der Wellenauswuchtung lösen konnten, muss das Gesamtverhalten noch weiter verbessert werden.

Unser nächster Schritt wird sein, die alten, verschlissenen Lager zu ersetzen, den Test dann zu wiederholen, um das Verhalten des Getriebes zu kontrollieren, und schließlich die Auswuchtung der Kardanwelle erneut zu überprüfen.

Abb. 12: Lorenzo Mosenich (links) und Samuele Ardizio (rechts)