Donnerstag, 15. Februar 2024 · 0 min read
Die Entstehung des Jumbo-Jets Boeing 747
1963 schrieb das US-Militär einen Wettbewerb zum Bau eines neuen strategischen Transportflugzeugs aus. Gesucht wurde ein Flugzeug, das enorme Lasten über weite Entfernungen transportieren konnte. Boeing trat in diesem Wettbewerb gegen mächtige Konkurrenten wie Lockheed, Douglas, General Dynamics und Martin Marietta an. Man entwarf ein riesiges Transportflugzeug, das über eine aufklappbare Nase und ein Oberdeck – den sogenannten „Buckel“ – mit einem erhöhten Cockpit verfügte und von vorne mit Panzern oder anderer Fracht beladen werden konnte. Letztendlich verlor Boeing den Wettbewerb gegen Lockheed (heute Lockheed Martin), aber man hatte sich nun intensiv mit der Frage beschäftigt, wie ein so riesiges Flugzeug zu bauen wäre.
Kurze Zeit später schlug Juan Trippe, der Präsident von Pan American Airlines, Boeing-Chef William Allen vor, das größte Passagierflugzeug der Welt zu bauen. Pan Am war zu dieser Zeit eine der bedeutendsten und erfolgreichsten Fluggesellschaften der Welt. Gewünscht war ein Großraumflugzeug, das mehr Passagiere zu niedrigeren Kosten pro Flugmeile befördern konnte. Zudem wäre ein größeres Flugzeug in der Lage, mehr Treibstoff zu transportieren und somit größere Entfernungen zurückzulegen und neue Märkte zu erschließen.
Trippe sagte zu, ein solches Flugzeug zu kaufen, wenn Boeing es bauen würde, worauf Allen geantwortet haben soll: „Wenn Sie es kaufen, dann baue ich es“. Sechs Monate später erhielt Boeing von Pan Am einen Auftrag im Gesamtwert von 500 Mio. Dollar (heute ca. 5 Mrd. USD oder 4,6 Mrd. EUR) über die Lieferung von 25 der weltweit ersten Großraum-Verkehrsflugzeuge zum Stückpreis von 20 Millionen Dollar.
Die Aufgabe war durchaus respekteinflößend und mit zahlreichen schwierigen Herausforderungen verbunden. Doch mit dem Auftrag von Pan Am in der Tasche nahm Boeing das ehrgeizigste Entwicklungsprojekt seiner Geschichte in Angriff: die Entwicklung, die Erprobung und den Bau der Boeing 747.
Die erste große Herausforderung war, das man über keine ausreichend große Produktionsstätte für die Montage der 747 verfügte. Für ihren Bau ließ Boeing ein Waldstück nördlich von Seattle roden. Die Fertigungshalle ist mit einem Volumen von 13.385.378 Kubikmetern bis heute das größte Gebäude der Welt. Sie hat eine Grundfläche von fast 40 ha. Trotz ihrer bereits enormen ursprünglichen Größe wurde sie im Laufe der Jahrzehnte mehrfach erweitert, um Platz für die Endmontage der Flugzeugmodelle 767, 777 und 787 zu schaffen.
Eine weitere Herausforderung bestand darin, dass viele Flughäfen nicht über ausreichend lange Start- und Landebahnen für Großraumflugzeuge wie die 747 verfügten und auch die Fluggastbrücken nicht für die Abfertigung so großer Flugzeuge geeignet waren. Die Infrastruktur der Flughäfen musste also ebenfalls wachsen, um die neue Ära der Großraumflugzeuge zu bewältigen.
Der Chefentwickler
Im Sommer 1965 versetzte Boeing den Ingenieur Joe Sutter, der später von der Zeitschrift Air & Space/Smithsonian als „Vater der 747“ bezeichnet werden sollte, vom 737- zum 747-Entwicklungsprogramm. Sutters Vorgesetzter und oberster Verantwortlicher des Programms war Malcolm Stamper.
Sutter verfasste eine Autobiografie mit dem Titel 747: Creating the World's First Jumbo Jet and Other Adventures from a Life in Aviation, in der er den Entwicklungs- und Erprobungsprozess der 747 beschreibt. Joe war slowenischer Abstammung. Sein Vater, Franc Suhadolc, war im Alter von 17 Jahren nach Amerika gekommen, wo man seinen Nachnamen bei der Ankunft in „Sutter“ geändert hatte.
Die Suche nach den Triebwerken
Die Boeing-Ingenieure waren Experten im Bau von Flugwerken, brauchten jedoch ein anderes Unternehmen für den Bau der Triebwerke zu ihrem Antrieb. Das Problem war, dass es die riesigen Düsentriebwerke, die für die 747 benötigt wurden, nur für Militärflugzeuge gab. Wie es der Zufall wollte, hatte das in West Hartford ansässige Unternehmen Pratt and Whitney ein sehr leistungsstarkes Triebwerk mit der Bezeichnung JTF14 für das C-5-Galaxy-Programm der US-Luftwaffe entwickelt, den Auftrag aber an General Electric verloren.
Als Pratt and Whitney vom 747-Projekt erfuhr, schlug das Unternehmen vor, auf Grundlage des JTF14 ein leistungsstarkes neues Triebwerk zu entwickeln, um die Boeing 747 in die Luft zu bringen. Der Vertrag mit Boeing kam zustande, und das Rennen war eröffnet.
Boeing hatte allerdings zahlreiche Probleme mit den von Pratt & Whitney (heute United Technologies) gelieferten JT9D-Triebwerken, und laut Joe Sutters Autobiografie glaubten er und andere bei Boeing, dass Pratt & Whitney diese Probleme nicht ernsthaft genug anging.
1968 wurde ein Testflug mit dem JT9D durchgeführt, das zu diesem Zweck in eine Boeing B-52 eingebaut worden war. Die erprobten Triebwerke erwiesen sich jedoch als ziemlich uneinheitlich, und zeigten durchgehend unterschiedliche Leistungen.
In seinem Buch beschreibt Joe Sutter, wie der leitende Testpilot Jack Waddell vier Triebwerke auf volle Leistung brachte, als eines von ihnen plötzlich ausfiel. Das Drehmoment war so hoch, dass sich die gesamte Triebwerksgondel an der Tragfläche gefährlich nach oben bewegte. Dies hätte tragisch enden können, wäre es während des Flugs geschehen. Die Untersuchung ergab, dass eine Welle gebrochen und mit den Turbinenblättern kollidiert war.
Pratt & Whitney stellte Ersatzwellen zur Verfügung, die Ursache des Problems war jedoch ein Rätsel. Als die Ingenieure von Boeing und Pratt & Whitney das Problem untersuchten, fanden sie heraus, dass die Niederdruck- und Hochdruck-Verdichter und -Turbinen bei Drehzahlveränderungen nicht synchron liefen. Bei konstanten Geschwindigkeiten funktionierten sie gut, abrupte Schubänderungen konnten jedoch zu Flammenausbrüchen oder Schlimmerem führen.
Der Präsident von Pratt & Whitney, Barney Schmickrath, und sein Team flogen von Hartford nach Seattle, um das Problem mit dem Boeing-Chef Thronton Wilson, dem Chefentwickler Joe Sutter und dem Cheftestpiloten Jack Waddell zu besprechen. Es gab allerdings einige angespannte Momente, als Waddell spürte, dass Schmickrath das Problem nicht ernst genug nahm. Also lud der Pilot ihn und seine leitenden Mitarbeiter zu einem Testflug ein, bei dem er die Triebwerke „pulsieren“ ließ, um das Problem zu demonstrieren.
Wenn eine Turbine bei einem dieser Schubimpulse zu viel Treibstoff enthielt, gab es einen lauten Knall, der überall in der 747 zu spüren war, und eine lange Flamme schoss aus dem betreffenden Triebwerk. Schmickrath erkannte das Problem und versicherte, dass sein Unternehmen es beheben werde.
Tests ergaben, dass sich die Triebwerksgehäuse durch Spannungen so stark oval verformten, dass die Turbinenschaufeln mit den Innenwänden in Berührung kamen. Und auch hier hat die Messdatenerfassung eine wichtige Rolle gespielt, denn Die Boeing-Ingenieure führten eine Strukturanalyse durch und übergaben die Ergebnisse an die Entwickler von Pratt & Whitney, so dass diese die Gehäuse versteifen und das Problem dauerhaft beheben konnten.
Als erstes großes Turbofan-Triebwerk mit hohem Nebenstromverhältnis, das zum Antrieb eines Großraumflugzeugs bestimmt war, erzeugte das 4153 kg schwere JT9D einen Maximalschub von 235,7 kN. Es wurde viele Jahre lang unter anderem in zahlreichen Versionen der Boeing 747 und 767 sowie in den Airbus-Modellen A300 und A310 eingesetzt.
Boeing steigert die Produktion
Bereits 1968 arbeiteten etwa 20 000 Boeing-Mitarbeiter an der 747. Im Laufe der Jahre waren sogar über 40 000 Menschen am Programm beteiligt. Die erste in Everett im US-Bundesstaat Washington fertiggestellte 747 wurde für die von den Boeing-Ingenieuren geplanten Flugtests verwendet und zu Ehren ihrer Geburtsstätte auf den Namen „City of Everett“ getauft.
Die ersten Flugtests
Der Jungfernflug der Boeing 747 fand am 9. Februar 1969 statt. Journalisten, Ingenieure und Zuschauer waren gleichermaßen beeindruckt, als das größte Passagierflugzeug der Welt die Startbahn des Flughafens Paine Field hinunterrollte und mühelos abhob. Die offizielle FAA-Registrierungsnummer der Maschine lautete N7470, die Besatzung und die Ingenieure verwendeten aber die Boeing-Seriennummer RA001.
Die Besatzung bestand aus dem Piloten Jack Waddell, dem Kopiloten Brien Wygle und dem Flugingenieur Jess Wallick und wurde von Joe Sutter als „Die drei Ws“ bezeichnet.
Der graue Himmel über Everett klarte auf, als sich die RA001 gen Himmel abhob. Die Piloten führten an jenem Tag eine Reihe von Flugtests durch, darunter eine Simulation des Verlustes der hydraulischen Leistung mit ihrer anschließenden Wiederherstellung sowie eine Reihe von Cross-Control-Manövern wie die Dutch Roll (gleichzeitiges Rollen und Gieren).
Überziehtests (Stall Tests)
Der Boeing-Testpilot Jack Waddell hatte sich besorgt über die Möglichkeit geäußert, dass es im Falle eines extremen Überziehens (engl. pitch-up) der 747 zu einem gleichzeitigen Strömungsabriss (engl. stall) an den vier Triebwerken kommen könnte.
Ein Strömungsabriss tritt ein, wenn der Anstellwinkel eines Flugzeugs zu steil ist, d. h. wenn seine Nase um mehr als etwa 15 Grad nach oben geneigt ist. Dies führt dazu, dass über den Tragflächen Turbulenzen entstehen, die den Auftrieb beeinträchtigen. Wird der Strömungsabriss nicht korrigiert, dann sinkt die Geschwindigkeit des Flugzeugs, und es kippt nach vorne ab, wodurch es ins Trudeln geraten kann. Strömungsabrisse haben schon zu zahlreichen Abstürzen geführt, weil die Piloten falsche Informationen über ihre Geschwindigkeit und ihren Anstellwinkel hatten, die Nase des Flugzeugs nicht früh genug nach unten drückten oder nicht in der Lage waren, das Flugzeug aus der Abwärtsspirale herauszuziehen.
Die RA001 wurde Überziehtests unterzogen, um sicherzustellen, dass der normale Flugbetrieb nach einem Strömungsabriss wieder aufgenommen und kontrolliert werden konnte. An diesem ersten Erprobungstag zeigte die allererste 747 bei den Überziehtests eine gute Performance, und Waddell war mit den Ergebnissen zufrieden.
Video von Boeing, das Strömungsabriss, Bodeneffekte, Flattern und weiter Tests zeigt (Stalltest beginnt bei 1:50)
Erprobung der Steuerflächen
Leider traten einige Probleme auf, als die Besatzung begann, die Steuerflächen der RA001 zu erproben. Beim Ausfahren der Klappen von 25 auf 30 Grad begann das Flugzeug stark zu zittern. Waddell fuhr die Klappen schnell wieder zurück auf 25 Grad, und das Zittern hörte auf. Flugingenieur Wallick ging nach hinten, um aus den Fenstern auf die Tragflächen zu schauen, und entdeckte, dass sich an der Steuerbord-Tragfläche ein Teil einer Landeklappe gelöst hatte. Als er Waddell und Wygle diese schlechte Nachricht überbrachte, beschlossen sie, den Erprobungstag vorzeitig zu beenden und die Boeing-Ingenieure das Problem untersuchen zu lassen.
Obwohl die Tests beendet waren, erhielt die RA001 für diesen Tag noch eine weitere Flugerlaubnis, um das Problem von einem zweiten Flugzeug aus durch Fotos dokumentieren zu lassen, von denen eines hierunter zu sehen ist. Danach wurde das Flugzeug zu Boeing zurückgebracht, damit sich die Ingenieure die Flügelklappen anschauen konnten.
Trotz des verkürzten Jungfernflugs bewertete Flugkapitän Waddell die 747 ausgesprochen positiv und sagte:
(Sie) ... ist der Traum eines jeden Piloten, ein Zwei-Finger-Flugzeug. Ich brauchte nur meinen Zeigefinger und Daumen am Steuerrad zu bewegen, um es zu fliegen, und es reagierte sehr akkurat.
Weitere Monate des Testens
In seiner Autobiografie beschreibt Joe Sutter die Euphorie der Boeing-Ingenieure und Testpiloten nach dem ersten Flug. In den folgenden Wochen und Monaten bemühte man sich, jeden Tag weitere Testflüge durchzuführen.
Fahrwerkstests
Zunächst konzentrierte man sich dabei auf die Erprobung des insgesamt 18-rädrigen Fahrwerks und allgemein auf die Landung des riesigen Flugzeugs. Das gewaltige Fahrwerkssystem war am Boden bereits umfangreichen Tests unterzogen, aber noch nicht im tatsächlichen Flugbetrieb erprobt worden. Beim Rollen, bei den Starts und bei den Landungen wurden aber keine nennenswerten Probleme mit dem Fahrwerk festgestellt.
Leistungstests
Auch die Fluggeschwindigkeit der RA001 wurde allmählich zunächst bis an die normale Höchstgeschwindigkeit von Mach 0,85 (fast 1050 km/h) und schließlich darüber hinaus gesteigert, um das Flugzeug über seine Grenzen hinaus zu treiben. Zudem wurde die 747 immer schwerer beladen, um die Auswirkungen auf das Handling und die Dämpfung zu messen.
Ermüdungstests
Nach den Explosionen von zwei Strahlverkehrsflugzeugen des Typs de Havilland Comet in den 1950er-Jahren begannen die FAA und andere Behörden weltweit, Flugzeuge auf Ermüdung der Rumpfstruktur zu testen. Dieses Problem kann durch wiederholte Druckbeaufschlagung und Druckentlastung der Kabine beim normalen Betrieb verursacht werden.
Passagierjets werden in Höhen von bis zu 35 000 Fuß (ca. 10 670 m) betrieben, der Luftdruck in der Kabine wird zum Komfort der Passagiere jedoch auf einen Druck reguliert, der einer Höhe von nicht mehr als 8000 ft (2438 m) entspricht. Die Boeing 747 wurde auf Rumpfermüdung getestet, indem die Passagierkabine, zusätzlich zu einer Vielzahl weiterer Tests einzelner Komponenten, am Boden tausende Male druckbeaufschlagt und druckentlastet wurde.
Ein 1972 von Max Spencer für Boeing verfasster 52-seitiger Bericht zur Ermüdungsanalyse lässt erkennen, wie sich das Unternehmen geradezu besessen darum bemühte, die 747 zu einem „ausfallsicheren“ Flugzeug zu machen, das in der Lage sein sollte, auch extremsten Betriebsbedingungen standhalten und dabei sicher und unversehrt zu bleiben. Nach Boeing-Angaben ist die 747 so ausgelegt, dass sie 150 % der höchsten im Normalbetrieb zu erwartenden Belastungen standhält.
Bei Ermüdungstests werden Flugzeuge Belastungen ausgesetzt, die in ihrer Summe der mehrfachen normalen Betriebsdauer entsprechen, um sicherzustellen, dass sie bei ordnungsgemäßer Wartung jahrzehntelang sicher funktionieren.
Verteilung des Testpensums
Schon bald baute Boeing vier weitere Flugzeuge für Erprobungszwecke. So konnten Sutter und seine Teams die verbleibenden Aufgaben unter sich aufteilen. Während die erste Maschine, die RA001, hauptsächlich für Flatter- und Überziehversuche verwendet wurde, diente Maschine 2 als Triebwerksprüfstand und für Systemtests. Bei den Strukturtests in Maschine 3 ging es wieder überwiegend um die Messdatenerfassung von Schwingungen am Flugzeugrumpf. Die letzten beiden Maschinen wurden für zerstörende statische Prüfungen am Boden verwendet. Ziel war es, alle fünf Flugzeuge täglich zu erproben, um die FAA-Zertifizierung in einer bis dahin unerreichten Zeit von nur 10 Monaten zu erhalten.
Dämpfungs- und Flattertests
Das sogenannte „Flattern“ tritt auf, wenn die Trägheitskraft, die elastische Kraft und der aerodynamische Druck eines Flugzeugs zusammenwirken und verschiedene selbsterregte Moden, d. h. Schwingungen im Rumpf oder in den Steuerflächen, erzeugen. Die diversen Strukturen eines Flugzeugs sind so ausgelegt, dass sich ihre Eigenfrequenzen gegenseitig aufheben. Ein Flugzeug, bei dem das der Fall ist, wird als „gut gedämpft“ bezeichnet. Ist ein Flugzeug schlecht gedämpft, dann können gefährliche Resonanzen entstehen, und die Struktur kann auseinanderreißen.
Bei Flattertests werden die Eigenfrequenzen und Dämpfungskoeffizienten der normalerweise während des Fluges auftretenden Moden gemessen, während die Fluggeschwindigkeit erhöht wird. Die Messung und anschließende Abschwächung durch mechanische Dämpfung und andere Maßnahmen ist äußerst wichtig. Die Tests selbst können gefährlich sein, da die Piloten das Flugzeug absichtlich auf potenziell problematische Geschwindigkeiten bringen müssen, die außerhalb des zugelassenen Betriebsbereichs liegen.
B747-Modell im Windkanal, das einem Flattertest bei extremen Geschwindigkeiten unterzogen wird
Während der Flugerprobungsphase der 747 stellte Boeing fest, dass ihre Dämpfung zu gering war. Die Testflüge wurden umgehend unterbrochen und die Boeing-Ingenieure nahmen die Untersuchung des Problems in Angriff. Die Signale aus den Beschleunigungsmessern und Bewegungssensoren die in kritischen Bereichen des Testflugzeugs installiert wurden, wurden einer Messdatenerfassung zugeführt und ausgewertet.
Die Testpiloten brachten das Flugzeug dann durch abrupte Steuerbewegungen bei hohen Geschwindigkeiten zum „Pulsieren“. Außerdem wurden Shaker eingesetzt, um an bestimmten Stellen des Flugwerks Schwingungen zu erzeugen. Nach vielen Tests mit verschiedenen Treibstoffladungen und Schwerpunkten standen genügend Messdaten für eine eingehende Messdatenanalyse zur Verfügung. Bei der Auswertung dieser Messdaten stellten die Ingenieure fest, dass zwischen den Tragflächen und den Triebwerksgondeln gefährliche Vibrationen entstanden. Die Dämpfung, die sie entwickelt hatten, funktionierte nicht richtig, wenn die Tragflächen mit Treibstoff beladen waren.
Es war klar, dass die Triebwerksgondeln neu konzipiert werden mussten, für die Zwischenzeit entwickelte Joe Sutters oberster technischer Leiter, der Statiker Everett Webb, eine Möglichkeit, die erforderliche Dämpfung durch das Hinzufügen von Gewicht an bestimmten Punkten der Gondeln zu erreichen. Nach einmonatiger Verzögerung wurden die Tests wieder aufgenommen.
Wie bei jeder mechanischen Struktur, ob groß oder klein, wurde auch hier eine Modalanalyse dazu verwendet, die Auswirkungen von Spannungen auf die Eigenfrequenzen der Struktur mit der geeigneten Messdatenerfassung zu erfassen und zu analysieren, um sie dann mildern zu können.
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Startabbruchtests
Wie lange würde es bei einem Startabbruch dauern, bis das Flugzeug sicher zum Stehen kommt – und zwar bevor es das Ende der Startbahn erreicht? Wie werden die Bremsen mit den extremen Belastungen und der Hitze fertig, die bis zu 1400 °C erreichen kann? Was geschieht, wenn die Umkehrschubdüsen nicht benutzt werden können und das Flugzeug sein maximales Nenngewicht hat? Werden die Schmelzsicherungsschrauben in den Reifen nach dem Anhalten des Flugzeugs automatisch den Druck ablassen, um zu verhindern, dass die Reifen explodieren? Der Startabbruchtest (engl. Rejected Take-Off Test, RTO) ist ein Test unter Extrembedingungen.
1969 flog Boeing eines seiner Testflugzeuge zur Edwards Air Force Base in der kalifornischen Wüste nördlich von Los Angeles. Dort ließ der Testpilot Jack Waddell die Maschine die Startbahn hinunterrollen, erhöhte dabei die Geschwindigkeit auf V1 (bei der das Bugrad vom Boden abhebt) und betätigte dann die Bremsen, um zu sehen, wie schnell der Jumbo-Jet zum Stillstand käme. Im Gegensatz zu den heutigen Verbundstoffbremsen waren die damaligen Bremsen der 747 aus Stahl, der die unglaublich große Hitze, die sich innerhalb weniger Sekunden aufbaute, nicht so gut verkraftete. Trotzdem bestand die 747 die Tests mit Leichtigkeit und das 317 500 kg schwere Flugzeug kam in weniger als der geforderten Strecke zum Stehen.
Boeing 747-8 führt einen ultimativen Starttest durch
Velocity-Minimum-Unstick-Test
Beim Velocity-Minimum-Unstick-Test (oder Vmu-Test) wird das Heck des Flugzeugs beim Start absichtlich auf die Startbahn aufgesetzt. Dazu wird die Nase des Flugzeugs nach oben geneigt, bis das Heck den Boden berührt. Mit diesem Test wird die absolute, für den Start erforderliche Mindestgeschwindigkeit ermittelt. Dabei wird am hinteren Ende des Rumpfes ein Hecksporn angebracht, um schwere Strukturschäden am Flugzeug zu verhindern. Wenn dieser Sporn bei hoher Geschwindigkeit über die Startbahn schleift, fliegen buchstäblich die Funken.
Beim VMU-Test an einem Airbus 350-1000 kommt der spezielle Heckstoßfänger in Kontakt mit der Landebahn
1969 flog Boeing eines seiner Testflugzeuge zum Moses Lake Airport 320 km östlich von Everett, um einen solchen Vmu-Test durchzuführen. Gemäß den einschlägigen behördlichen Vorschriften muss der Test mit der Mindeststartmasse durchgeführt werden, wobei ein Triebwerk im Leerlauf dreht, um einen Ausfall zu simulieren. Während es heute spezielle Stoßdämpfer gibt, die am hinteren Ende des Flugzeugs angebracht werden können, um Schäden am Rumpf zu verhindern, verwendete Boeing einen langen Streifen aus Eichenholz als Abriebschutz. Boeing-Präsident Thronton Wilson ließ es sich nicht nehmen, während dieser nicht ungefährlichen Tests im Cockpit Platz zu nehmen, während Chefentwickler Joe Sutter mehrere Abhebeversuche vom Boden aus beobachtete. Der Eichenholzstreifen erzeugte durch die Reibung auf der Landebahn einen langen Feuerschweif.
Rollversuche
Als Generalprobe vor dem ersten Testflug wird das Flugzeug bei den Rollversuchen mit verschiedenen Geschwindigkeiten über die Start- und Landebahn gerollt. Dabei wird auch die Performance der Bremsen getestet, um sicherzustellen, dass sie bei verschiedensten Rollgeschwindigkeiten und Flugzeuggewichten störungsfrei und gleichmäßig funktionieren.
Rolltest der 747-8
Boeing führte zudem noch weitere Rollversuche, z. B. bei vereister, verschneiter oder nasser Startbahn, durch.
Klima- und Windkanaltests
Unzählige weitere Tests wurden durchgeführt, darunter auch solche unter extremen Umweltbedingungen. Dabei wurden maßstabsgetreue Modelle im Windkanal getestet, aber auch ganze Flugzeuge oder große Teile davon in entsprechend großen Anlagen. In Klimakammern wurden Wind, Regen, Schnee und Eis simuliert. Zusätzlich wurde nahezu jedes Bauteil am Boden statischen Tests unterzogen und dabei Belastungen ausgesetzt, die weit über die hinausgingen, die unter normalen Betriebsbedingungen zu erwarten waren.
So fanden im Laufe von 10 Monaten insgesamt mehr als 1000 Tests mit aufwändigsten Messdatenerfassungssystemen an fünf verschiedenen 747-Testflugzeugen statt. Dabei absolvierten diese Jumbo-Jets über 1400 Flugstunden, und sowohl einzelne Komponenten als auch die kompletten Flugzeuge wurden ausgiebig am Boden getestet.
Der erste kommerzielle Flug der 747
Am 30. Dezember 1969 erteilte die US-Luftfahrtbehörde (FAA) der 747 die Zulassung für den Passagierbetrieb, und etwas mehr als drei Wochen später wurde sie zum ersten Mal kommerziell geflogen.
Am 22. Januar 1970 absolvierte eine von Pan Am auf den Namen „Clipper Young America“ getaufte 747-121 ihren ersten kommerziellen Flug, bei dem 335 Passagiere und 20 Besatzungsmitglieder von New York nach London befördert wurden. Zu diesem Zeitpunkt hatten auch schon mehrere andere Fluggesellschaften die Boeing 747 bestellt, darunter TWA, American Airlines, United Airlines, National Airlines, Branniff International, Air Canada, Air India und Japan Airlines.
Verbesserte Versionen und Varianten der 747
Der ursprüngliche Jumbo-Jet konnte 362 Passagiere in drei Klassen befördern. Im Laufe der Jahre wurden dann noch diverse verbesserte Varianten der 747 eingeführt. Die 747-300 etwa konnte 400 Passagiere in drei Klassen befördern, am erfolgreichsten war aber die 747-400 mit einer Kapazität von bis zu 416 Passagiere. Von dieser Variante wurden fast 700 Exemplare gefertigt und ausgeliefert. Im Jahr 2012 vergrößerte Boeing die 747-400 weiter, nunmehr auf eine Kapazität von 467 Passagieren in drei Klassen, und benannte sie um in 747-8. Diverse Passagier- und Frachtversionen dieser Variante, wie die 747-8F und die 747-8i, sind nach wie vor im Einsatz.
Transport der US-Raumfähre
Zwei Exemplare der Standardversion der 747 wurden von der NASA gekauft und modifiziert, um den Orbiter des Space-Shuttle-Systems über lange Strecken zu transportieren. Normalerweise war das Kennedy Space Center das Ziel dieser Flüge, mitunter wurden die Orbiter aber auch zur Edwards Air Force Base befördert. Die NASA verwendete die zum Shuttle Carrier Aircraft (SCA) umgebauten 747, um den Orbiter für die jeweils nächste Mission zum Kennedy Space Center in Florida zurückzubringen.
Der Rumpf des Flugzeugs wurde verstärkt, um das durch die Last des Orbiters verursachte zusätzliche Gewicht und die höhere Beanspruchung zu bewältigen. Am Heck wurden zwei vertikale Stabilisatoren hinzugefügt. Außerdem wurde der größte Teil der Innenausstattung entfernt, und es wurden Instrumente zur Last- und Gewichtsüberwachung während des Fluges eingebaut. Die NASA-Orbiter stellten mit ihrem Gewicht von 78 000 kg eine erhebliche Last dar.
Beförderung des US-Präsidenten
Beim ersten Flugzeug, das speziell für einen Präsidenten der Vereinigten Staaten vorgesehen war, handelte es sich um ein Amphibienflugzeug vom Typ Douglas Dolphin, das während des Zweiten Weltkriegs für Präsident Roosevelt ausgestattet wurde. In den 1950er-Jahren flog Präsident Eisenhower dann in einer Lockheed Constellation, und gegen Ende des Jahrzehnts, als die Ära der Düsenflugzeuge begann, wurden drei Boeing 707-120 für den Präsidenten umgebaut.
Ab 1990 übernahm dann eine spezielle Militärversion der Boeing 747-200B mit der Bezeichnung VC-25A die Aufgabe, den Präsidenten und seinen Stab durch die USA und die Welt zu befördern. Diese VC-25A hat eine Reichweite von 12 600 km (etwa ein Drittel des Erdumfangs) und kann in der Luft aufgetankt werden.
Die VC-25A ist mit zahlreichen, teilweise geheimen militärischen Upgrades ausgestattet, um sie im Falle eines Unglücks oder sogar eines Angriffs zu schützen. Der vordere Teil des Flugzeugs ist als das „Weiße Haus“ bekannt, da hier der Wohnbereich, das Büro und die Sitzungsräume des Präsidenten eingerichtet wurden. Das Flugzeug verfügt über eine hochmoderne Kommunikationsausrüstung, die es ermöglicht, den Präsidenten mit sicheren Systemen am Boden zu verbinden und sogar Live-Ansprachen an Fernseh- und Rundfunknetze zu übertragen.
Die Flugzeuge werden übrigens nur dann als „Air Force One“ bezeichnet, wenn der Präsident sich tatsächlich an Bord befindet, ansonsten wird die Modellbezeichnung VC-25A verwendet. Die US Air Force hat inzwischen zwei verbesserte Boeing 747-8 (VC-25B) bestellt, die als nächste Präsidentenflugzeuge dienen sollen.
Die 747 als fliegender Triebwerksprüfstand
Die 747 ist seit Jahrzehnten ein beliebtes Testflugzeug für mehrere große Triebwerkshersteller. Warum ist das so? Zunächst können aufgrund der vierstrahligen Bauweise mehrere Testtriebwerke installiert werden, während gleichzeitig noch ausreichende Leistungsreserven vorhanden sind. Außerdem werden für diese Anwendung manchmal seilgebundene mechanische Systeme gegenüber moderneren Systemen bevorzugt.
General Electric (GE), ein führender Hersteller von Düsentriebwerken, hat mehrere 747 als fliegende Prüfstände in seiner Flotte. Die älteste, eine 747-100 von 1969, wurde 2018 gerade in den Ruhestand versetzt. Die 1994 von GE erworbene Maschine war bis dahin als Flugprüfstand für die Erprobung und Zulassung von elf verschiedenen Triebwerken in fast 40 Varianten eingesetzt worden, darunter das leistungsstarke GE90 und die GEnx-Triebwerke für den Dreamliner. Inzwischen hat GE eine wesentlich neuere 747-400 als Testflugzeug erworben. Weitere Unternehmen, die die 747 als fliegenden Prüfstand nutzen, sind Rolls Royce und Pratt & Whitney Canada.
Der legendäre Buckel
Das vielleicht legendärste Merkmal der 747 ist der charakteristische Buckel über und hinter der Nase. Dieses Oberdeck wurde aus mehreren Gründen hinzugefügt, zum Beispiel plante Boeing, die 747 sowohl für die Beförderung von Passagieren als auch als Frachtflugzeug einzusetzen.
Bei aufgeklappter Nase ist es schneller und einfacher, Frachten direkt gerade in den Rumpf zu laden, als durch die Seitentüren. Anders als alle vorherigen Verkehrsflugzeuge konnte die 747 mit zwei Reihen 8 Fuß (ca. 2,44 m) breiter Luftfrachtcontainer nebeneinander beladen werden. Der Buckel hinter dem Cockpit war ursprünglich als Ruhebereich für die Besatzung bei sehr langen Flügen vorgesehen, doch Pan-Am-Präsident Trippe sah darin eine First-Class-Kabine für Passagiere, die bereit wären, für mehr Luxus und Privatsphäre zu zahlen. Aufgrund des Buckels liegt die Augenhöhe des Piloten ca. 9 Meter über dem Boden, was in etwa der Höhe eines dreistöckigen Gebäudes entspricht.
Das Ende einer Ära
Die Boeing 747 hielt fast 40 Jahre lang den Rekord für die größte Passagierkapazität. Erst im Jahr 2005 wurde sie vom Airbus A380 überholt. Das Rollout der ersten 747 fand am 30. September 1968 in Everett im US-Bundesstaat Washington statt. Dieses Ereignis revolutionierte den Luftverkehr, indem es zu einer Reduzierung der Flugpreise führte und die Ära der Großraumflugzeuge einleitete. In weniger als sechs Monaten nach dem ersten kommerziellen Flug hatte die 747 bereits über eine Million Passagiere befördert. Mehr als ein halbes Jahrhundert später wurde die letzte jemals gebaute 747 an Atlas Air ausgeliefert, ein Frachtunternehmen, das 51 dieser gewaltigen Flugzeuge besitzt.
Das 747-Projekt war selbst für ein Unternehmen von der Größe Boeings ein enormes finanzielles Risiko. Wäre die 747 ein Misserfolg gewesen, hätte das Unternehmen wahrscheinlich aufgeben müssen. Doch trotz der enormen technischen Herausforderungen und Rückschläge hielt man an einem 28-monatigen Entwicklungsplan fest, den die meisten Insider für unrealistisch hielten. Die erste 747, die RA001, wurde dem Museum of Flight in Seattle geschenkt.
Insgesamt wurden 1574 Jumbo-Jets in zahlreichen Varianten gebaut, von denen etwa ein Viertel noch immer fliegen. Konkret waren im Dezember 2023 beeindruckende 441 Boeing 747 im aktiven Dienst, und zwar hauptsächlich als Frachtflugzeuge. Als Ersatz für die 747 entwickelte Boeing die 777, und inzwischen hat diese den Jumbo-Jet mit mehr als 2200 Bestellungen und über 1700 ausgelieferten Maschinen bereits überholt.
Obwohl die 747 ihre Krone als größtes Passagierflugzeug der Welt an den Airbus A380 verlor, hatte sie übrigens den längeren Atem: Während vom Airbus A380 in 18 Jahren 251 Exemplare hergestellt wurden, waren es bei der Boeing 747 nicht weniger als 1574 Maschinen in 55 Jahren, nämlich zwischen 1968 und 2023.
Für die 747 wurde nicht nur die Bezeichnung „Jumbo-Jet“ geprägt, sondern das berühmteste Flugzeug der Welt wurde seinerzeit auch als „Königin der Lüfte“ bezeichnet. Die Beschilderung im Museum of Flight in Seattle nennt die 747
... die bedeutendste technische Leistung, die jemals von der Privatwirtschaft ohne nennenswerte staatliche Unterstützung erbracht wurde.
Joe Sutter wurde übrigens für seine Leistungen 1985 von US-Präsident Ronald Reagan mit der National Medal of Technology ausgezeichnet.