/ Marco Pesce, Automotive Applications Senior Specialist, Leane International Srl

Montag, 17. Juni 2024 · 0 min read

National Research Centre for Agriculture (CREA)

ADAS-Tests für Traktoren – Erkennung gefährdeter Verkehrsteilnehmer (VRU)

Moderne Fahrerassistenzsysteme (ADAS) sind in Personenkraftwagen sowie leichten und schweren Nutzfahrzeugen inzwischen weit verbreitet. Weniger bekannt ist, dass die Hersteller ADAS-Systeme auch bei fahrenden Landmaschinen einsetzen. Die sogenannten „schnellen Traktoren“, die Höchstgeschwindigkeiten über 60 km/h erreichen, haben einen Bedarf an aktiven Sicherheitssystemen wie ABS oder Stabilitätskontrolle mit sich gebracht. Leane verwendete im Rahmen von ADAS-Tests Datenerfassungshardware und -software von Dewesoft zur Berechnung von Parametern wie Abstand, Position und Winkel.

Der Begriff „gefährdeter Verkehrsteilnehmer“ (Vulnerable Road User, VRU) wird hauptsächlich für Personen verwendet, die sich ohne „schützende Hülle“ (also z. B. eine Fahrerkabine) auf offener Straße oder im Gelände im Bewegungsbereich von Fahrzeugen befinden. Zu den VRU zählen Fußgänger, Radfahrer und andere nicht motorisierte Verkehrsteilnehmer, die bei einem Zusammenstoß ein erhöhtes Verletzungsrisiko haben. 

Das Engineering-Unternehmen Leane International ist seit rund 50 Jahren auf dem italienischen Markt aktiv. Die Automobil-Abteilung bietet seit 1978 schlüsselfertige Lösungen für die Fahrzeugdatenerfassung an. Mit jahrelanger Erfahrung und hochspezialisiertem Ingenieurwissen begleitet und unterstützt Leane ihre Kunden auf dem ganzen Weg von der Auswahl der Sensoren bis zum abschließenden Bericht. Das Unternehmen bietet sowohl Standalone-Geräte als auch die Entwicklung von vollständig auf vorhandene Kundenanwendungen zugeschnittenen Lösungen an – von einzelnen Sensoren bis hin zu kompletten, schlüsselfertigen Messsystemen, für Anwendungen, die von der Fahrzeugerprobung auf der Straße bis hin zu Fahrsimulatoren reichen.

Die Hersteller von Landmaschinen – wie Traktoren oder den zahllosen landwirtschaftlichen Geräten, die von diesen gezogen oder betrieben werden – arbeiten an der Einführung der folgenden ADAS-Systeme zur Verbesserung des Schutzes gefährdeter Verkehrsteilnehmer:

  • Totwinkelüberwachung (BSM)

  • Totwinkelinformationssystem (BSIS)

  • Anfahrinformationssystem (MOIS)

Viele Interessengruppen, darunter Erstausrüster, Tier-1-Zulieferer und Versicherungsgesellschaften, unterstützen Maßnahmen und Projekte zur Erhöhung der Sicherheit und zur Gestaltung zukünftiger Vorschriften.

Die Anwendung

Der italienische Rat für Agrarforschung und agrarökonomische Analysen (CREA) ist für eine solche Initiative verantwortlich. Der CREA befasst sich mit den Lieferketten in der Landwirtschaft und der Lebensmittelindustrie und ist bei der OECD für die Zertifizierung land- und forstwirtschaftlicher Zugmaschinen akkreditiert. 

Ende 2023 startete die Einrichtung eine Vorversuchskampagne, in deren Mittelpunkt die Erkennung gefährdeter Verkehrsteilnehmer bei landwirtschaftlichen Zugmaschinen steht, die an einem Fußgängerdummy vorbei- oder um ihn herumfahren. Zu den wesentlichen Herausforderungen bei Anwendungen dieser Art im landwirtschaftlichen Kontext gehören u. a. die folgenden Aspekte:

  • Die Traktoren können sehr unterschiedlich ausgerüstet sein: Verschiedene Arbeitsaufgaben erfordern verschiedene Anbaugeräte am Traktor, die sich unterschiedlich auf das Sichtfeld des menschlichen Fahrers und die Reichweite der Sensoren auswirken können.

  • Die Maschinen werden in verschiedenen Szenarien betrieben: auf der Straße, auf dem Hofgelände, auf dem Feld oder zwischen Bäumen. Innerhalb ihres Bewegungsbereichs können die Maschinen auf VRU und Objekte unterschiedlichster Form treffen.

Beim ersten Treffen im Rahmen der Kampagne bekamen einige Zulieferer und Universitäten die Möglichkeit, das Potenzial ihrer auf Traktoren montierten kamera- oder radarbasierten Lösungen für die VRU- und Hinderniserkennung zu demonstrieren. Sie zeigten, dass sie auch ohne Implementierung eines integrierten Onboard-Kontrollsystems in der Lage sind, einen Fußgängerdummy zu erkennen.

Das Ziel war in dieser Phase die Bewältigung einiger einfacher Szenarien. Die Tests fanden auf einer sauberen Asphaltfläche statt, wobei sich die Traktoren auf unterschiedlichen Fahrwegen und aus unterschiedlichen Winkeln einem statisch positionierten Fußgängerdummy näherten. 

Ein Inertialnavigationssystem (INS) mit DGNSS-Echtzeitkinematik (RTK) wurde als Bodenreferenz verwendet, um die genaue absolute Position des Dummys und seinen relativen Abstand zum Traktor zu ermitteln und die Performance des Erkennungssystems zu überprüfen.

Für die Zukunft sind weitere Tests mit komplexeren Szenarien geplant, in denen Fahrroboter und robotische VRU-Trägerplattformen zum Einsatz kommen.

Die Testszenarien

Wir installierten die Testszenarien auf der Asphaltfahrbahn des CREA-Testgeländes. Dieses Gelände umfasst ein Oval mit einem zentralen Platz, der als Kreuzung oder zur Durchführung von Kurvenmanövern bei mäßiger Geschwindigkeit dienen kann.

Wir führten zwei Testfälle durch, hier bezeichnet als Szenario A und Szenario B:

A) Der Fußgängerdummy befindet sich in einer Kurve, die der Traktor mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten und auf unterschiedlichen Wegen (innen/außen) durchfährt (siehe Abb. 8).

B) Der Fußgängerdummy befindet sich auf einer Geraden, die der Traktor mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten und seitlichen Versätzen entlangfährt (siehe Abb. 9).

Die Techniker platzierten den Fußgängerdummy für das Testszenario A am Referenzpunkt RefPoint1 und für das Szenario B am Referenzpunkt RefPoint2 (siehe Abb. 1 und 2).

Abb. 1: Luftaufnahme des Testgeländes mit den Positionen des Fußgängerdummys

Die Streckenansicht unten zeigt den Dummy an RefPoint2 und einige Kegel, mit denen die Wege für die Testfälle markiert wurden.

Abb. 2: Das Testgelände aus der Bodenperspektive mit den Positionen des Fußgängerdummys

Die Prüfgeräte

Bei den Tests kam unter anderem die folgende Ausrüstung zum Einsatz: 

Die Systemkonfiguration (Abb. 3 und 4) umfasste auch einen Ethernet-Sniffer mit einfachen Filterfunktionen und Datendekodierung für die Extraktion von Datenkanälen aus Ethernet-Streams. Der Sniffer ermöglicht die Filterung von Datenströmen anhand von Parametern wie MAC- und IP-Adresse, Quell- und Zielport oder manuellen Datenfiltern und kann Daten in verschiedenen Formaten (Intel, Motorola, signiert, unsigniert) kodieren. Es sind sowohl lineare IEEE-Float- als auch nichtlineare (polynomiale) IEEE-Skalierungen möglich.

Das Polygon-Plugin für DewesoftX ist ein Werkzeug zur Berechnung von Parametern wie Abstand, Position oder Winkel zwischen bewegten oder statischen Objekten wie Autos, Kegeln, Fahrspuren oder Linien. 

Das Plugin kann als Basis für alle autonomen oder nicht-autonomen Fahrzeugtests dienen, wie z. B.:

  • autonome Notbremsung (AEB),

  • Spurwechsel,

  • Spurhaltewarnung (LDW),

  • Kreisfahrt,

  • Slalomfahrt,

  • Aufprallwarnung,

  • Leistungstests,

  • Vorbeifahrgeräusch,

  • Funktionssicherheitstests,

  • Fahrzeugdynamik

  • usw.

Es ermöglicht zudem den Import von Fahrwegen aus zuvor aufgezeichneten Dateien mit einer Genauigkeit von bis zu 1 cm und eine vollständig anpassbare 3D-Visualisierung zur einfachen Datenanalyse und Echtzeit-Fahrerführung.

Nicht in der Liste enthalten ist die Prototypausrüstung, d. h. die radar- oder kamerabasierten Erkennungssysteme, und aus Vertraulichkeitsgründen können wir auch nicht angeben, welche Signale erfasst wurden.

Abb. 3: Überblick über die Testausrüstung am und außerhalb des Traktors
Abb. 4: Überblick über die Fahrzeug-Testkonfiguration

Die Dewesoft-Konfiguration

Im hier beschriebenen Fall erfasste das Datenerfassungssystem DEWE-43A die CAN-Bus-Daten, da am Traktor keine analogen Sensoren installiert waren.

Der Einfachheit halber platzierten wir den ADMA-Speed-Sensor von GeneSys auf der Kabine direkt über dem Kopf des Fahrers. Der Sensor wurde so konfiguriert, dass er die Messdaten des mittig vorne am Traktor positionierten PointOfInterest1 (POI1) erfasste. Ein NTRIP-DGNSS-Dienst lieferte zusätzlich RTK-Daten, die die zentimetergenaue Bestimmung der absoluten Position des Traktors ermöglichten.

Der Datenstrom des ADMA-Sensors wurde vom Ethernet-Empfänger-Plugin erfasst.

Das DewesoftX-Polygon-Plugin stellte eine 3D-Darstellung des Testgeländes bereit. Die Software berechnete auch die Kanäle, die Informationen über die relative Position des Traktors in Bezug auf den statischen Dummy (d. h. RefPoint1 bzw. RefPoint2) lieferten.

Der Einfachheit halber legten wir die X-Achse des Koordinatensystems am RefPoint2 so, dass sie der geraden Fahrtrichtung entsprach. Dadurch stimmten die Koordinaten von RefPoint2 – wo der Dummy für das Testszenario B positioniert war – mit diesen überein.

Dann legten wir die Koordinaten von RefPoint1 fest, die mit den Koordinaten des POI1 in Bezug gesetzt wurden, wenn sich die Vorderseite des Traktors in der Nähe des Dummys am Referenzpunkt befand (siehe Abb. 5).

Abb. 5: Schematische Darstellung des Testgeländes und des lokalen Koordinatensystems

Außerdem fügten wir einige berechnete Kanäle hinzu, um  um die folgenden Distanzen auf der  X- und Y-Achse und relativen Abstand zu erhalten:

  • vom Kopf des Fahrers zu den Dummy-Positionen an RefPoint1 und RefPoint2,

  • von der Vorderseite des Traktors (POI1) zu den Dummy-Positionen an RefPoint1 und RefPoint2.

Darüber hinaus wurden drei Traktorbewegungskreise mit Radien von 3 m, 6 m und 12 m mit den Kopfkoordinaten des Fahrers als Mittelpunkt eingefügt. Der Wert 12 m wurde auf Grundlage der im Testprotokollentwurf enthaltenen vorläufigen Anforderungen gewählt.

Schließlich installierten wir, wie auf den Screenshots der DewesoftX-Messwertanzeige (Abb. 6 und 7) zu sehen, noch eine DirectX-USB-Kamera, um eine simultane Ansicht der Szene aus der Traktorkabine zu erhalten.

Abb. 6: Hauptanzeige unserer DewesoftX-Bildschirmkonfiguration
Abb. 7: Erläuterung der Elemente des DewesoftX-Messbildschirms

Testdurchführung und Ergebnisse

Wir führten mehrere Testfahrten mit dem Traktor durch, bei denen wir uns dem Dummy näherten und in seiner Nähe anhielten oder an ihm vorbeifuhren. Bei weiteren Tests wurden Ausweichmanöver durchgeführt oder der Traktor um die Szene herumgefahren, um zu sehen, wie die Erkennungssystem-Prototypen den Dummy wahrnahmen.

Die Daten der getesteten Erkennungssysteme dürfen wir leider nicht zeigen. Wir konnten anhand der virtuellen Geometrien des Polygon-Plugins und der DewesoftX-Mathematikkanäle jedoch die Annäherung des Traktors an die Dummyposition beobachten und erkennen, wann er die 12-m-, 6-m- und 3-m-Linie passierte.

Hier können Sie sich die Videos von der Teststrecke ansehen

Abb. 8: Testszenario A
Abb. 9: Testszenario B

Fazit

Die Kombination von Positionsdaten mit Daten aus dem Testfahrzeug, von Kameras und von anderen Sensoren ist eine typische Anforderung an jede ADAS-Messanwendung.

Mit der DewesoftX-Software konnten wir alle diese Datenquellen integrieren und schnell und einfach Online-Berechnungen der relativen Entfernung durchführen sowie mithilfe des Polygon-Plugins eine effektive 3D-Visualisierung hinzufügen.

Das DewesoftX-Polygon-Modul erlaubt die Einrichtung eines lokalen Koordinatensystems für die Abbildung der Position statischer Objekte auf der Fahrbahn und die Verfolgung des Testfahrzeugs und anderer beweglicher Objekte. Die Konfiguration der Anwendung wurde vor dem Test direkt auf dem Testgelände durchgeführt und nahm nur wenige Minuten in Anspruch. 

Ein weiteres Merkmal von Polygon ist die Möglichkeit, mit statischen oder beweglichen Objekten verknüpfte geometrische Körper zu erstellen und diese für Berechnungen und Visualisierungen zu verwenden, z. B. um zu prüfen, ob sich ein bestimmtes Objekt innerhalb einer bestimmten Entfernung von einem anderen Objekt befindet.

Auf Grundlage der beschriebenen Fakten entschied der Kunde, DewesoftX und Polygon auch für kommende Testaktivitäten in dieser Forschungsrichtung einzusetzen.